Nr. VI. 43
Gesetzes- und Verordnungs-Mlatt
für das Großherzogtum Baden.
Ausgegeben zu Karlsruhe, Montag den 26. Februar 1906.
Inhalt.
Verordnungt des Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts und des Mini-
steriums des Innern: die Zwangserziehung betreffend.
Vekordnung.
(Vom 6. Februar 1906.)
Die Zwangserziehung betreffend.
Unter Aufhebung der Verordnung vom 27. November 1886, die staatliche Fürsorge für
die Erziehung verwahrloster jugendlicher Personen betreffend (Gesetzes= und Verordnungsblatt
Seite 540), wird zum Vollzuge des Gesetzes vom 4. Mai 1886 (Gesetzes= und Verordnungs-
blatt Seite 225) in der durch das Gesetz vom 16. August 1900, die Zwangserziehung und
die Bevormundung durch Beamte der Armerverwaltung betreffend (Gesetzes= und Verordnungs-=
blatt Seite 938), bewirkten und im Gesetzes= und Verordnungsblatt 1900 Seite 1022 bekannt
gegebenen Fassung mit Wirkung vom 1. März 1906 an verordnet, was folgt:
I. Vorverfahren beim Bezirksamt.
§ 1.
Die Staatsanwaltschafts-, Polizei-, Gemeinde= und Schulbehörden, die Bezirksräte, die
Gemeindewaisenräte, die Bezirksärzte und die von den Gemeinden bestellten Armenärzte haben
die Obliegenheit, wenn ihnen bezüglich jugendlicher Personen im Alter unter 18 Jahren Tat-
sachen bekannt werden, welche nach den Umständen des Falls — sei es mit oder ohne Vor-
liegen einer strafbaren Handlung — die Zwangserziehung zur Verhütung der sittlichen Ver-
wahrlosung oder des völligen sittlichen Verderbens im Sinne des § 1 des Gesetzes begründet
erscheinen lassen, hierüber alsbald Mitteilung an das Bezirksamt zu machen.
Insbesondere haben die Bürgermeisterämter auf Empfang von Strafnachrichten gemäß
88 41 und 42 der badischen Strafregisterordnung vom 28. November 1896 zu prüfen, ob
Anlaß zu einer Anzeige an das Bezirksamt vorliegt; gegebenenfalls ist diese Anzeige auch
hinsichtlich solcher jugendlicher Bestrafter zu erstatten, die sich nicht in der Gemeinde aufhalten,
die oder deren Eltern aber ihren Wohnsitz in der Gemeinde haben.
Gesetzes= und Verordnungsblatt 1906. 8