Full text: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden. Jahrgang 1906. (38)

VI. 49 
Haltung des Zöglings für die körperliche Verpflegung genügend sorgen, eine günstige erzieherische 
Einwirkung fortgesetzt ausüben und jeden nachteiligen Einfluß insbesondere seitens der bisher 
zur Erziehung verpflichteten Personen ausschließen werde. 
Als geeignet sind in Sonderheit nur solche Familien anzusehen, welche sich eines voll- 
ständig unbescholtenen Rufes erfreuen, ein den eigenen Unterhalt sicherndes Auskommen sowie 
eine gesunde Wohnung und eine geordnete Haushaltung haben und bereit sind, den Zögling 
als Familienglied aufzunehmen. Auch soll die Familie der gleichen Konfession angehören wie 
der Zögling und ihren Wohnort nicht am bisherigen Aufenthaltsorte desselben haben. Mehr 
als zwei Zöglinge sind in der Regel nicht in der gleichen Familie unterzubringen. 
Familien, welche offenkundig arm sind, Schlafleute halten oder besorgen lassen, daß sie 
die Aufnahme des Zöglings zu eigennützigen Zwecken mißbrauchen würden, sollen ausgeschlossen 
bleiben. 
* 20. 
In dem mit dem Familienvorstande abzuschließenden Vertrage ist die Genehmigung des 
Bezirksamts sowie das Recht jederzeitiger Zurücknahme des Zöglings und der Lösung des 
Vertrags ohne vorhergehende Mahnung oder Inverzugsetzung vorzubehalten, insoweit nicht 
aus den Bestimmungen der Gewerbeordnung und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der 
Dienstboten nach Sachlage sich etwas anderes ergibt. 
Der Familienvorstand ist in dem Vertrage zur Übernahme der leiblichen Pflege durch 
Gewährung angemessenen Obdaches mit besonderem Bett, gesunder ausreichender Beköstigung 
und anständiger reinlicher Kleidung, bei eintretender Krankheit durch Beschaffung der nötigen 
Heilmittel und ärztlichen Hilfe zu verpflichten. Inwieweit für die Kosten der Heilmittel und 
ärztlichen Behandlung Ersatz geleistet werden soll, ist besonders zu bestimmen. Der Familien= 
vorstand muß sich ferner verbindlich erklären, die Erziehung auf sittlich religiöser Grundlage 
gewissenhaft und sorgfältig zu führen, den Zögling zum Kirchen= und Schulbesuch sowie zur 
Ordnung und Arbeitsamkeit — wenn nötig mit Strenge — anzuhalten, auch das Schulgeld 
und die Kosten für die Schulbedürfnisse zu bestreiten. 
Die Benützung des Zöglings zu passenden, nicht übermäßigen Haus= und Feldgeschäften 
ist im Vertrage zu gestatten; dagegen ist die Verwendung zu solchen Dienstleistungen auszu- 
schließen, welche die körperliche und geistige Entwickelung des Zöglings zu beeinträchtigen ver- 
möchten. Für die Beschäftigung in einer Fabrik ist die besondere Erlaubnis des Bezirksamts 
vorzubehalten. 
Das Bezirksamt hat bei der zuständigen Postanstalt die Aushändigung von Post- 
sendungen jeder Art, welche für den Zwangszögling bestimmt sind, an den Familienvorstand 
zu beantragen. 
Die dem Familienvorstande zu gewährende Vergütung ist in allen Fällen so zu bestimmen, 
daß auch in ihrer Bemessung eine Sicherung für die zweckmäßige Ausführung der Zwangs- 
erziehung gegeben ist.
	        
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