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Die Prüfung dieser Frage ergibt Folgendes:
Die Gerichtsbarkeit des Staates ist Ausfluß der Souveränetät.
Sie entspringt in Sonderheit jenem Theilinhalte der Souveränetäts-Rechte, welcher
sich nach der Innenseite des Staatslebens als staatliche Machtvollkommenheit, als summum
umperium, beziehungsweise auf der Kehrseite als Unterordnung unter dieses imperium dorstellt.
Nach ihrer Außenseite, in den Beziehungen zu anderen souveränen Staaten,
somit in völkerrechtlicher Hinsicht, fällt dagegen der Schwerpunkt des Souveränetäts-
begriffs in die Unabhängigkeit des einen Staates von dem imperium des andern.
Diese Unabhängigkeit begründet von selbst einerseits das Recht zur Ablehnung jeder
Consequenz einer solchen Machtvollkommenheit, welche sich Seitens eines souveränen Staates
gegenüber einem anderen mit einem Rechtszwange geltend machen wollte, anderseits aber
auch nach dem weiteren völkerrechtlichen Grundsatze der principiellen Gleichstellung souveräner
Staaten für den gegenbetheiligten Staat die Verpflichtung, die Unabhängigkeit des anderen
souveränen Staates anzuerkennen und zu achten.
Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, gelangt man von selbst im Principe zur
Anerkennung des in der völkerrechtlichen Theorie, wie in der neueren Staats= und speziell
auch Gerichtspraxis bereits vielseitig aufgestellten und anerkannten Grundsatzes, daß
ein souveräner Staat der Gerichtsbarkeit eines anderen souveränen
Staates in der Regel nicht unterworfen ist.
Hefter, Europ. Völkerrecht, 7. Aufl. S. 79;
Westlake, Lehrb. des internationalen Privatrechts; deutsche Ausgabe 1884
S. 219;
Foelix, droit international privé, 4 édit. t. I p. 418;
Urtheil des Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte in Berlin vom 14. Jänner 1882
(abgedruckt in Gruchots Beitr. zur Erläuterung des deutschen Rechts III. Folge
Bd. 6 S. 298);
dann die Urtheile des Appellhofs in Brüssel vom 31. Dezember 1840,
des Cassationshofs in Paris vom 22. Januar 1849,
des Civiltribunals in Antwerpen vom 11. November 1876,
des obersten Gerichtshofs in Wien vom 4. September 1877 (abgedruckt bei
Gruchot a. a. O. S. 304, 306, 309).