Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

J. Kohler, Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte. 45 
Zins wird bezahlt, sondern eine Rente, und die Rente gilt als Kaufgegenstand; das Kapital 
ist daher nicht fruchtbringend im Sinne des Wucherverbotes, sondern es verschwindet als 
Leistung, und die Rente bildet die Gegenleistung. 
Im Gegensatz dazu stehen alle diejenigen Formen, welche sich mehr oder minder als 
Umgehungsgeschäfte darstellen, in denen der Zins den Zinscharakter behält und nur juristisch 
einen anderen Deckmantel bekommt, Umgehungsgeschäfte, an denen die christliche wie die Islam- 
welt so reich ist. 
Man kann nicht sagen, daß das Zinsverbot der Kirche im ganzen ungünstig gewirkt hat; 
es war zu einer Zeit mächtig, als die wirtschaftlich unreifen Völker mit Recht auf andere Formen 
des wirtschaftlichen Lebens hingewiesen wurden, als insbesondere die Fruchtbarkeit des Bodens 
und die wirtschaftliche Selbsttätigkeit gegenüber dem beweglichen Kapital sehr wohl betont 
werden konnten, weil sonst breite Volksschichten geneigt gewesen wären, sich einer tatenlosen 
Genußsucht hinzugeben und die Kapitalistenstellung zur Knechtung ihrer Mitmenschen zu miß- 
brauchen. Auf solche Weise hat das Zinsverbot zur Förderung wirtschaftlichen Handelns bei- 
getragen und dazu mitgewirkt, die sozialen Gegensätze zu mildern. Daß natürlich die Verkehrs- 
völker in ihrer Weiterentwicklung sich dem Verbote nicht mehr fügen mochten, daß namentlich die 
italienischen Städte dem Verbot zum Trotz in ihren Mauern blühende Zinsgeschäfte duldeten, daß sie 
darum auch mit Strafe bedrohten, wer immer gegen diese Zinsgeschäfte die geistlichen Gerichte 
anrief, ist sehr begreiflich und wirtschaftlich gerechtfertigt. Je mehr das Darlehen einen pro- 
duktiven Charakter annahm, je mehr sich im aufstrebenden Handel zeigte, daß das Geld, wenn auch 
nicht unmittelbare Ursache, so doch ein wesentliches Bedingnis des Handelsgewinnes ist, um 
so mehr mußten die Gründe der Zinsgegner zusammenfallen, um so mehr mußte auch die 
Logik der Tatsachen darüber hinwegführen; dies insbesondere, seitdem der aufblühende Bankier- 
stand die Zahl der Darlehensgeber wesentlich erhöhte und ihr Geldbetrieb den Charakter einer 
dem Wettbewerb unterliegenden Verkehrstätigkeit annahm. So haben sich die modernen 
Völker von dem Zinsverbot ganz abgekehrt, sie haben sogar die volle Zinsfreiheit festgesetzt; 
und der Wucherbegriff nahm einen ganz anderen Inhalt an. Man erkannte jetzt den Wucher 
als etwas durchaus nicht dem Zinsrecht allein Eigenes; man erkannte ihn als eine im ganzen 
Verkehr vorkommende Schmarotzerpflanze, nämlich als ein parasitisches Handeln zur Aus- 
beutung von Notlage, Unerfahrenheit oder Leichtsinn, d. h. von objektiven oder subjektiven 
Mißverhältnissen des Menschen, welche Ausbeutung ebenso unsittlich wie verkehrswidrig ist; 
denn nur die wahre Leistung soll das Maß des Erwerbes bestimmen, nicht die Not des zu Boden 
liegenden Gegners. 
9 36. 
) Gesellschaft. 
Der Gesellschaftsvertrag ist hervorgegangen aus der Unfähigkeit des Ein- 
zelnen, mit seinen Mitteln bestimmte Zwecke zu erreichen; die Gesellschaft erheischt die gegen- 
seitige Hilfe, das Stellen von Vermögensmassen mehrerer unter einen einheitlichen Zweck, 
was ein besonderes, fein geregeltes Gefüge von Verbindlichkeiten erheischt; die Einlagen können 
körperliche Sachen, aber auch körperliche und geistige Leistungen sein. So hat sich das Gesell- 
schaftsgeschäft von alters her in zwei Richtungen entwickelt, als Gesellschaft von Diensten, deren 
Hauptbeispiel ursprünglich die Überfalls- und Plünderungsgesellschaft ist (mit Einfall in das 
feindliche Gebiet), und als Handelsgesellschaft, bei der besonders das körperliche Vermögen eine 
Rolle spielte. Von alters her üblich ist besonders das schon den Babyloniern wohlbekannte 
Commendaverhältnis, wonach der eine eine Vermögenseinlage macht, während der andere 
damit Handel treibt. Große Gesellschaftsformen erwuchsen im römischen Recht als Publi- 
kanengesellschaften, und im modernen Recht als Berggenossenschaften; dann entstanden mit 
dem Seeverkehr, mit den internationalen Geldgeschäften, mit den Kolonialunternehmungen 
die Reedereien umd die Aktiengesellschaften, welche mehr oder minder den fruchtbaren Ge- 
danken verwirklichten, die Haftung für die Gesellschaftsschulden auf das Gesellschaftsvermögen 
zu konzentrieren und das Schuldrecht zu einem nur das Vermögen belastenden Wertrecht zu 
gestalten; ein kühner Gedanke, der Spekulationen ermöglicht, für welche die Schultern der 
Einzelnen zu schwach wären.
	        
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