Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 147
mand kann sich selbst seine Kompetenz er-
weitern.
Wenn wir den Begriff der Kompetenz auf den Wirkungs-
kreis jedes willensbegabten Wesens ausdehnen, sei dasselbe
Einzelperson- oder eine organisirte Gesammtheit, so ist der-
selbe ein Rechtsbegriff nur unter der Voraussetzung, dass
dem natürlich möglichen Wirkungskreis der Person im Ver-
hältniss zu andern Personen Grenzen gesetzt sind. Eine un-
beschränkte und beliebige rechtliche Kompetenz ist ein Wider-
spruch in sich selbst. In dem Sinne einer schrankenlosen
und nur dem Belieben anheim gegebenen Erweiterung der
rechtlichen Kompetenzen ist daher der an die Spitze gestellte
Satz unumstösslich, „ein allgemeiner, rechtlicher Grundsatz,
geltend im Privatrecht wie im Staatsrecht‘“.
Aber durchaus verschieden hiervon ist die andere Frage:
Von wem? undin welchen Formen? die rechtlich ge-
forderten Grenzen gesetzt, erweitert oder beschränkt werden.
Ist es die wesentlichste, alles Uebrige bedingende Auf-
gabe des Staates, das Recht zur Geltung zu bringen, so ist im
vollkommenen Staate keine Person, welche ihre Kompetenz
nicht auf die Anerkennung des Staates zurückführen müsste
und damit von ihm die Grenzen ihrer Kompetenz bezeichnet
erhielte.
Das gilt zweifellos von allen dem Staate nachgeordneten
juristischen Personen, mögen sie um ihrer verschiedenen
Zwecke willen dem Privatrechte oder dem öffentlichen Rechte
angehören. Das gilt aber auch von den physischen Personen.
Denn wenn es auch richtig bleibt, dass der Idee nach der
Mensch vor dem Bürger, das Individuum vor dem Staate be-
steht, dass das Individuum einen unbedingten Anspruch auf
die seiner sittlichen Bestimmung nothwendige Freiheit besitzt,
so ist es doch der Staat, der die Freiheit verbürgt, das Aus-
mass derselben und damit die rechtlichen Grenzen der indi-
viduellen Kompetenz bestimmt. Diese Grenzbestimmungen
sind historisch wechselnde. Der Staat bleibt in der von ihm
getragenen Rechtsordnung hinter den sittlichen Anforderungen
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