Allgemeine Erörterungen. 59
warfen, sondern sie iiben umgekehrt eine Herrschaft über das
individuelle Wollen und Handeln aus. Sie erzeugen noth-
wendig einen Gemeinwillen, der sich von der Summe der
variablen Einzelwillen als das konstante Wollen einer Ge-
sammtheit abhebt. Denn eine Gesammtheit ist eine in ihrem
Wollen einheitlich bestimmte Menschenzahl. Jede Gesammt-
heit aber drängt dahin, ihr ideelles, abstraktes Dasein zu einer
Realität zu erheben. Indem einem einzelnen oder mehreren
‚Individuen oder der Summe derIndividuen in ihren mehr oder
minder modifizirten Majoritätsbeschlüssen, die Fähigkeit aner-
kannt wird, den Gemeinwillen darzustellen, indem ihrem
Willen unabhängig von der Uebereinstimmung der Einzelwillen
die Gemeingültigkeit beigemessen wird, gewinnt die Ge-
sammtheit Organe des Wollens und Handelns. Die Gesammt-
heit greift damit als ein Aeusserliches auch äusserlich in die
Willensverhältnisse ihrer Mitglieder ein, sie konstituirt sich
ihnen gegenüber thatsächlich als ein Herrschafts-, als ein Ver-
hältniss der Ueber- und Unterordnung, sie behauptet sich als
wollendes und handelndes Wesen auch Dritten gegenüber.
Diesen thatsächlichen Bildungen gegenüber kann sich
das Recht nicht willkürlich verhalten. Der Staat, zur Rea-
lisirung des Rechtes berufen, mag die in seiner Gesellschaft
hervortretenden,, verschiedenartigen Gemeinschaften auf ihre
sittliche Berechtigung oder Zulässigkeit, auf ihre Dauerhaftig-
keit und sachgemässe Struktur hin prüfen, sie danach regeln
und, um höherer Zwecke willen, auch unterdrücken. Aber im
Gedanken des Rechtes kann nicht ein Lebenszweck als be-
rechtigt anerkannt und die aus seiner Erstrebung sich ent-
wickelnde Gesammtheit als eine nur äusserlich verbundene
Summe Einzelner fingirt und damit als eine selbständige
Willenspotenz verleugnet werden. Das Recht kann den adä-
quaten Ausdruck für diese thatsächliche Erscheinung gar nicht
anders finden, als indem es die zur Willens- und Handlungs-
fähigkeit organisirte Gesammtheit als selbständigen Träger
von Rechten und Pflichten gelten lässt. Der Satz, dass das
Recht sich diesen Bildungen gegenüber in willkürlichen