306 $ 19. Die Feststellung des Budgetgesetzes. [210
Mit diesem doppelten Thatbestande ist es gegeben, dass
die Volksvertretung, der Reichstag, die Rolle des Bewilligen-
den gegenüber den Anforderungen der Staatsregierung, dem
Bundesrathe spielt. Der Reichstag gewinnt damit trotz der
formalen Gleichberechtigung eine einseitige Verstärkung,
den überwiegenden Einfluss auf die Finanzverwal-
tung.
Aber dieses praktische Resultat ist auch durch das posi-
tive Recht gefordert.
Es kann darüber kein Streit bestehn und es bedarf da-
für keiner Beweisführung, dass nicht diese oder jene Partei,
sondern dass die verfassungsgebenden Faktoren selbst in un-
zweideutiger Übereinstimmung gerade an diesem Punkte des
Staatslebens eine erhöhte Machtstellung der Volksvertretung
in Absicht nahmen. In Anknüpfung an die lange historische
Entwicklung, welche das freie Steuerbewilligungsrecht in der
altlandständischen Verfassung gefunden hatte, sollte das
Budgetrecht einen Wirkungskreis darstellen, in welchem der
Volksvertretung die letzte Entscheidung zufällt. Es sollte auf
diesem Gebiete ein Gegengewicht geschaffen werden gegen die
überragenden Befugnisse der vollziehenden Gewalt, deren ver-
fassungsmässiges Recht weit genug geht, um durch ihre ein-
seitigen Entschliessungen über Krieg und Frieden die gesammte
Existenz des Staates selbst auf das Spiel zu setzen.
Jede Konstruktion des Budgetrechtes, welche diesen Aus-
gangspunkt in der Entstehung der einschlagenden Verfassungs-
bestimmungen ausser Ansatz lässt, dient der politischen Ten-
denz und nicht der Erklärung des positiven Rechtes. Jedes
Ergebniss wissenschaftlicher Auslegung, welches damit in Wi-
derspruch tritt, könnte nur durch den schwierigen, ja unmög-
lichen Beweis gerechtfertigt werden, dass irgend welche Hin-
dernisse der formalen Technik die bekundete sachliche Absicht
der Gesetzgebung nicht haben erreichen lassen.
Gerade die unbestreitbare Absicht der Verfassung ver-
leiht selbst den Auffassungen einen Schein der Berechtigung,
welche der Volksvertretung ein Recht freier Bewilligung und