eingeschworen war, dem mußte alles übrige des Systems logisch
richtig erscheinen und der kümmerte sich nicht mehr darum, daß
die Dinge im Leben, wie Bogumil Goltz sagt, nicht so oder so, son-
dern so und so sind, und daß es in der Politik überhaupt nicht
auf das logisch Richtige, sondern auf das praktisch Nützliche an-
kommt. Den Fragen nach dem Aussehen des Zukunftsstaats wich
man mit der Berufung auf die geheimnisvolle Kraft der Ent-
wicklung aus, die „von selbst“ alles zum besten ordnen würde.
Ihr blieb es also auch überlassen, den von Liebknecht geschilderten
Kollektivmenschen hervorzubringen, ein Sammelwesen voll lauter
Tugenden, das Gottes Sonne noch nicht beschienen hat.
Auch gegen den Einwand, daß die Sozialreform, das Eingreifen
des Staats in das freie Spiel der Kräfte zugunsten der Arbeiter,
den revolutionären Charakter ändern würde, war man gewapp-
net. Die Neue Zeit hatte schon in einer Begründung des Programm-
entwurfs gesagt: „Der Sozialismus wurzelt gerade in der Uber-
zeugung von der Unmöglichkeit, dem Proletariat in der heutigen
Gesellschaft eine befriedigende Stellung zu verschaffen. Oie gegen-
wärtige Produktionsweise erzeugt ebenso naturnotwendig wie das
Elend auch die Empörung gegen das Elend.. Die Wurzeln dieser
Empörung liegen nicht im Elend selbst — nicht überall, wo Elend
ist, ist auch die Empörung gegen das Elend, und es sind nicht
die Elendsten unter den Elenden, bei denen die Empörung beginnt,
ihre Wurzeln liegen in dem Klassengegensatz zwischen den Aus-
beutern und den Ausgebeuteten.“
Das war die alte Marrsche Dialektik, und aus diesem Ge-
dankengange folgte auch, daß es zum Kampfe um die politische
Macht nicht eines möglichst großen Haufens Elender, sondern einer
großen, geschulten Truppe Empörter bedurfte.
Dieser Rückblick auf die Geschichte der Sozialdemokratie, der
dem Kundigen nichts Neues sagt, soll zeigen, daß aus den wirtschaft-
lichen Interessenkämpfen eine ganze Weltanschauung herausgewach-
sen war, die sich aus zwei Extremen zusammensetzte, einem düsteren
Pessimiomus in bezug auf die bestehende Ordnung — da herrschen
allenthalben nur böse Triebe — und einem maßlosen Optimis-
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