nung, daß in der Abnahme der Gedächtniskraft das Alter seinen
Tribut forderte, ein Mangel, der sich ersetzen ließ und um dessent-
willen kein Mensch an einen Verzicht auf die Dienste des jeden-
falls im übrigen völlig rüstigen und geistig nach wie vor über-
ragenden Staatsmannes denken konnte. Einer hierauf gebauten In-
trige mußte jeder entscheidende Erfolg versagt bleiben. Die Uber-
zeugung des Fürsten Bismarck, daß einer seiner Kollegen ihm
schwarz und dem Kaiser weiß berichtet hätte, führte zu einem leb-
haften Auftritte in Gegenwart Sr. Majestät, bei dem sich der
Fürst eines anderen nicht überführen ließ. Eine Aufklärung über
diese intimeren Vorgänge, wie sie das Hamburger Blatt in Aus-
sicht stellt, würde unseres Erachtens nur sehr wenig an der ge-
schichtlichen Tatsache ändern können, daß die Reibung zweier willens-
starker Naturen von verschiedenem Alter und Temperament die
entscheidende Ursache der Krisis war. Durch den erwähnten Kol-
legen war Fürst Bismarck schon im Januar durchaus recht be-
richtet worden. Fürst Bismarck hat vielleicht erst von der Zeit ab
seine bevorstehende Entlassung geglaubt, als alle Zeichen des Miß-
trauens gegen den Mann, der zu der entsagungsvollen Vermittler-
rolle berufen war, insbesondere auch die Vollmachtsentziehung,
diesen nicht zum Rücktritt bewogen und der Angegriffene einen Be-
weis der höchsten Huld empfingt). Der Gedanke, daß sich der
Kaiser von ihm trennen werde, ist dem Fürsten Bismarck außer-
ordentlich schwer geworden, und als er ihn nicht mehr abweisen
konnte, suchte er nach künstlichen Gründen, nach böswilligen Ein-
flüssen auf die Stimmung an allerhöchster Stelle. Die kleinen
Geister, die sich jetzt an diesen Irrungen weiden und den Geistes-
zustand des Fürsten in Frage stellen, unterschätzen das berechtigte
Selbstbewußtsein eines Bismarck und wollen nicht. daran denken,
was er für Deutschland seit Jahrzehnten gewesen ist. Während
seiner glanzvollen Taten hat er so viel mit fremden Ränkespielen
nach allen Regeln der Kunst zu tun gehabt, daß es sehr wohl be-
1) Am 8. März 1890 erhielt der Staatssekretär Minister v. Bötticher
den Schwarzen Adlerorden mit einem Schreiben, das ihn als Hauptsiütze der
Sozialreform bezeichnete.
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