Full text: Der neue Kurs.

einen zweiten, und zwar vergifteten Pfeil gegen Caprivi ab, indem er 
ihm in den Hamburger Nachrichten, im Gegensatz zu seinen eigenen 
früheren Außerungen, alte, bis in die Zeiten der berüchtigten Reichs- 
glocke zurückreichende, antibismarckische Beziehungen nachsagen ließ. 
Aber alle Ausbrüche eines tiefen, bis zu persönlicher Feind- 
seligkeit gesteigerten Grolls während und kurz nach der Wiener 
Reise mußten dem Fürsten Bismarck nachgesehen werden, als die 
von Caprivi gezeichneten Erlasse vom 23. Mai 1890 und 9. Juni 
1892 im Reichsanzeiger erschienen waren. Der Maierlaß von 1890, 
der sich auf die ersten Unterredungen des Fürsten Bismarck mit 
Preßvertretern bezog und an sämtliche deutsche und preußische Mis- 
sionen gerichtet war, mochte noch hingehen. Sein Inhalt mit der 
Unterscheidung zwischen dem Fürsten Bismarck früher und jetzt 
war auch schon im Juni 1800 im engeren Friedrichsruher Kreise 
bekannt. Dagegen war die Depesche an den Botschafter Prinzen 
Reuß vom 9. Juni 1892 dem Zwecke nach und im Mittel an- 
stößig und für den Fürsten Bismarck schwer verletzend. Der Zweck 
war, eine Audienz des Fürsten bei dem Kaiser und König Franz 
Josef zu vereiteln, das Mittel war ein Verbot an das prinzliche 
Haus, einer etwaigen Einladung zur Hochzeit des Grafen Herbert 
Folge zu leisten, und außerdem der Auftrag an den Botschafter, 
den österreichisch-ungarischen Minister des Auswärtigen, Grafen 
Kalnoky, davon in Kenntnis zu setzen, daß der Deutsche Kaiser 
von der Hochzeit keine Notiz nehmen werde. 
Die Veröffentlichung im Reichsanzeiger war kein ganz frei- 
williger Akt. Schon vorher (6. Juli) hatte die Allgemeine Zei- 
tung in München mit aller Deutlichkeit über den „bingeworfenen 
Handschuh“ geschrieben und den von Berlin aus in Wien ge- 
tanen, nicht sehr würdigen Schritt, um den Empfang des Fürsten 
beim Kaiser Franz Josef zu hintertreiben, als wahre Ursache der 
seitdem verschärften Preßfehde bezeichnet. Die Veröffentlichung 
der Erlasse ließ sich daher kaum mehr vermeiden, so wenig Seh- 
kraft auch dazu gehören mochte, um ihre schlechte Wirkung für 
den, der für ihren Inhalt verantwortlich war, vorauszusehen. 
In der Tat war Caprivi von allen guten Geistern verlassen, 
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