als er seinen Namen unter die Depesche an den Prinzen Reuß
setzte. Nach dem Eindruck, den er mir bei meinem ersten, zwischen
der Absendung der Depesche und der Veröffentlichung im Reichs-
anzeiger liegenden, Empfang gemacht hatte, konnte ich kaum glau-
ben, daß die Depesche seiner eigenen Initiative entsprungen sei oder
daß er sie ohne inneres Widerstreben unterschrieben habe. Mit
seiner Erkenntnis, die in den Worten lag: „Angriffsweise vor-
gehen — da schlägt er uns“, war der Inhalt der Depesche nicht
vereinbar, es sei denn, daß er geglaubt hätte, die Vorschrift an
den Botschafter würde ein diplomatisches Internum bleiben und
nicht an die Offentlichkeit kommen. Aber wie konnte das möglich
sein, da doch das reußische Ehepaar mit den Familien des Braut-
paares in den besten Beziehungen stand, und sein Wegbleiben von
der Hochzeitsfeier auffallen mußte?
Zunächst blieben mir diese Zweifel und Widersprüche ungelöst.
Den Kanzler selbst um Aufklärung bitten, wie der kaum wieder
gutzumachende Fehler entstanden sei, dazu hatte ich nach dem ein-
maligen Besuche keine genügende Legitimation. Mit einer Andeu-
tung gar, daß vielleicht der Kaiser oder Frhr. v. Marschall oder
Herr v. Holstein der intellektuelle Urheber der Maßregel gewesen,
hätte ich mir sicher eine Zurückweisung zugezogen. Denn darin
konnte ich mich nicht getäuscht haben, daß es nicht die Art dieses
Mannes war, eigenes Verschulden, sei es auch nur ein Mitver-
schulden, auf andere abzuschieben. Was seine Unterschrift trug,
vertrat er auch ganz allein.
Der ganze Sommer 1892 ging hin unter schriftlichen und
mündlichen Begrüßungen von Vereinen und Körperschaften, Wall-
fahrten und Huldigungen von Vertretern der deutschen Stämme,
Reden des Fürsten Bismarck auf seinen Reisen von Kissingen
durch Thüringen nach Schönhausen und von da nach Varzin. Erst
im Herbst, als das Unwetter der Begeisterung für den Altreichs-
kanzler und schaurigen Zornes gegen seinen Nachfolger abflaute,
ließ mich Graf Caprivi wieder zu sich bitten. Seine größte Sorge
war damals die Militärreform. Bei meinem nun folgenden regeren
Verkehr im Reichskanzlerhaus wurde zwar niemals der Uriasbrief
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