trifft, so konnte zwar auf ihre unbedingte Unterstützung des von
Deutschland verfochtenen Grundsatzes der offenen Tür gerechnet
werden, dagegen stand von vornherein fest, daß sich die Vereinigten
Staaten in bezug auf die politische Seite der Marokkofrage passiv
verhalten würden.
Wir standen also von vornherein zwei gegen fünf. Ein Bun-
deogenosse und ein alter Freund und Nachbar schienen sich von ung
abgekehrt zu haben, obgleich jener nur Vorteile von dem Dreibunde
genossen und dieser alle Ursache hatte, für die Haltung Deutschlands
während seiner eben erst erfahrenen äußeren und inneren Miß-
geschicke dankbar zu sein. In Algeciras hatte sich die schon gleich
nach der Rückkehr Wittes aus der amerikanischen Friedensstadt
Portsmouth nach Europa angeknüpfte englisch-russische Verbin-
dung zur Regelung alter Streitigkeiten im mittleren Asien noch fester
gestaltet. Das sah alles in der Tat wie eine Schwächung der inter-
nationalen Stellung des Deutschen Reiches aus.
In der äußeren Politik ist der Respekt wichtiger als die Liebe.
An Zuneigung der fremden Völker hatten wir in Algeciras nichto
gewonnen und mußten uns damit trösien, noch die alte Achtung
vor unserer inneren Stärke zu besitzen. Der Grundzug unserer
künftigen Politik konnte kein anderer sein als Festigung unserer Kraft
und nach außen eine nüchterne, sachliche, von Ränken und Animosi-
täten freie Behandlung der Staatogeschäfte. Keine unnütze Ge-
schäftigkeit, kein Anbiedern oder Aufdrängen, noch weniger Händel-
sucht, sondern sicheres Ruhen auf unserem eigenen Schwergewicht.
Für die Durchführung eines solchen Programmes hing das
meiste von der persönlichen Haltung des Kaisers ab, der
seit anderthalb Jahrzehnten so oft durch plötzliche Entschlüsse, rein
persönliche Kundgebungen, pomphafte Drohungen wechselnd mit ein-
ladenden Freundlichkeiten, auch unbedachter Mitteilsamkeit in pri-
vaten Gesprächen amtliche Versuche einer ruhigen und stetigen Poli-
tik durchkreuzt hatte.
Die ernste Erkrankung des Fürsten Bülow bei Beginn der
Marokkodebatte im Reichstage am §. April 1906 nahm dem
Kanzler monatelang die Möglichkeit, seinen persönlichen Einfluß
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