Full text: Um den Kaiser.

Die Wiener Vorbereitungen zu dem neuen Vorgehen wurden 
ganz geheim betrieben, so daß die Verkündigung der Annexion 
durch den Kaiser und König Franz Joseph (5. Oktober 1908) alle 
Welt überraschte. Erst kurz vorher hatten die auswärtigen Mini- 
sterien in Berlin und Rom vertrauliche Kenntnis bekommen. Außer- 
dem war schon im September auf einer Zusammenkunft in Buchlau 
der russische Minister des Auswärtigen, v. Iswolski, in den Pan 
eingeweiht worden, aber nicht so, daß er mit einer sofortigen Aus- 
führung der Absicht hätte rechnen müssen. Der Gedankenaustausch 
in Buchlau galt der Lage auf dem Balkan, die infolge der Kon- 
stantinopler Revolution mit dem Aufstieg der Jungtürken noch 
unsicherer geworden war. In Buchlau stellte Aehrenthal die Frage, 
wie das offizielle Rußland die Einverleibung aufnehmen würde. Die 
Antwort Iswolskis ging ungefähr dahin, ein solcher Akt werde an 
dem bisherigen Tatbestande nichts ändern, darum auch für Nußland 
keinen casus bolli bilden können, wohl aber werde es für seine 
Zustimmung zu der Veränderung des Berliner Vertrages Kom- 
pensationen verlangen. Als solche bezeichnete er: Zurücknahme der 
österreichisch-ungarischen Garnisonen aus dem Sandschak, völlige 
Loslösung Bulgariens von der Türkei, wirtschaftliche Vorteile für 
Serbien und endlich auch die Offnung der Meerengen. Während 
Iswolski der Unterhaltung zunächst nur einen akademischen Charak= 
ter beimaß und glaubte, daß der Einverleibung noch förmliche 
Verhandlungen über die Revision des Berliner Vertrages unter den 
Mächten vorausgehen würden, entnahm Aehrenthal dem Gespräch 
vor allem, daß im Falle einer sofortigen Annerionserklärung keine 
kriegerische Verwicklung mit Rußland zu befürchten sei, zumal 
wenn sich gleichzeitig auch der bulgarische Vasallenstaat für unab- 
hängig erklärte. So wurde denn gleichzeitig in Wien und in 
Sofia, dort die Einverleibung Bosniens und der Herzegowina, 
hier die Unabhängigkeit des bulgarischen Fürstentums verkündet. 
Hierdurch kam Herr v. Iswolski in große Bedrängnis. Die 
Petersburger Gesellschaft und Presse warf ihm vor, er habe sich 
von Aehrenthal überrumpeln lassen und eine Lage schaffen helfen, 
die ganz der russischen Protektorrolle über die Balkanslawen zu- 
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