das eifrige Bemühen ist doch vorhanden, alle diese Mächte zum
gemeinschaftlichen Angriff gegen die Mitte zusammenzuführen. Im
gegebenen Augenblick sollen die Tore geöffnet, die Zugbrücken herab-
gelassen werden und die Millionenheere über die Vogesen, die Maas,
die Königsau, den Njemen, den Bug und sogar über den Isonzo
und die Tiroler Alpen verheerend und vernichtend hereinströmen.
Die Gefahr erscheint riesengroß.“
Ist an dem Gefahrenbilde durch den Ausgang des bosnischen
Streites viel geändert worden? Mit dieser Frage soll und kann
der starke diplomatische Erfolg der S:aatsmänner der Mittelmächte
nicht geschmälert werden. Aber es war doch ein Irrtum, zu meinen,
daß nun das Einkreisungsnetz zerrissen sei. In den realen Trieb-
kräften der Völker gegeneinander hatte sich durch den großen Diplo-
matenkampf nichts Wesentliches zum Besseren verändert. Rußland
brauchte nur mit neuen französischen Milliarden sein Heer zu
verstärken und strategische Wege und Bahnen nach stiner West-
grenze anzulegen, was es auch tat, und die Gefahr blieb, wie sie
war: riesengroß.
Ruhig und fest an der Seite Osterreich-Ungarns war vom
ersten Augenblick an die Parole des Fürsten Bülow. In dem für
den erkrankten Staatssekretär v. Schön einberufenen Herrn v.
Kiderlen hatte der Kanzler den besten Spezialisten für eine Auf-
gabe rein diplomatischer Art wie diese, die einen anschlägigen Kopf
und eine äußerst gewandte Feder erforderte. Im Hintergrund stand
ungesehen der immer noch wachsame und für des Reiches Wohl
grübelnde alte Herr v. Holstein, der gleich bei den ersten Zeichen
einer internationalen Krisis den Kanzler brieflich aus dem Harz
zu festem Auftreten an der Seite Österreich-Ungarns angefeuert
hatte. Durch den unbestreitbaren Erfolg, der sogar unsere natio-
nalistisch überhitzten Zeitungs= und Parteipolitiker veranlaßte, ihren
Zorn über die neuen Zugeständnisse an Frankreich in dem Casa-
blancaabkommen (9. Februar 1909) zu zügeln, stieg das An-
sehen des Fürsten Bülow außerordentlich in ganz Europa. Es war
der Höhepunkt seines Wirkens in der auswärtigen Politik.
61