ß. Diedemokratische Republikimallgemeinen.
Für die Demokratie wird die Gleichheit als Prinzip hingestellt.*) Sie ist politischer Art und
geht auf Teilnahme aller Staatsbürger an der Ausübung der Staatsgewalt durch Wahlen oder un-
mittelbare Beschlussfassung sowie auf die gleiche Zulassung aller zu den öffentlichen Amtern.*)
Gegenüber dem Wahlrecht zu der vielköpfigen Legislative ist die Wahl der Exekutive weniger
bedeutungsvoll. Hier werden darum andere Mittel gesucht, um dem Freiheitsprinzip Genüge zu
leisten: inhaltliche Beschränkung der Kompetenz der Exekutive, zeitliche Befristung des Amtes,
Verteilung der exekutiven Befugnisse an mehrere Organe, — besonders die Selbstverwaltung ist
hierher zu zählen —, Abhängigkeit oder wenigstens Kontrolle der Exekutive durch die Legislative.*)
Ihre innere Rechtfertigung sucht die demokratische Herrschaftsform in naturrechtlichen,
besonders inR oussea u’schen Ideen. So kehrt die ‚volonte generale‘ unverkennbar bei Esmein®)
wieder unter der Bezeichnung als ‚opinion publique‘. Sie wird ermittelt nach dem Gesetz der
Majorität, „einer jener einfachen Ideen, welche sich von selbst ergeben‘, und dort wie hier, weniger
oder mehr verblümt, wird der Majoritätsentscheidung Untrüglichkeit zugesprochen.:!) Die so herge-
stellte öffentliche Meinung ist die primäre Macht im Staate und ihr kommt de facto die höchste
Gewalt im Staate zu.) Hieraus folst, dass die Herrschaftsform dergestalt sein muss, dass sie auch
de jure die höchste Gewalt dem Volke zuteilt. Diesem Prinzip der Nationalsouveränetät wird die
demokratische Republik vollkommen gerecht.®) Die Monarchie aber findet Esmein mit der
„Nationalsouveränetät‘‘ unvereinbar; denn zum mindesten müsse der Fürst dem Volke verant-
wortlich sein, von welchem alle Gewalt im Staate ausgehe, und von dem also der Fürst nur die
seinige übertragen erhalten habe.)
Damit könnte man glauben, habe Esmein durch ein absolutes Urteil die demokratische
Republik für die beste Staatsform erklärt. Allein man würde dem verdienstvollen Rechtshistoriker
nicht gerecht, wollte man ihn mit den Rationalisten von 1793 auch nur in dieser einen Beziehung
auf dieselbe Stufe stellen. Dass er einer naturrechtlichen Staatskonstruktion fernsteht und der
Rücksicht auf die derzeitige allgemeine Entwicklung Raum gibt, beweist seine Befürwortung des
Zweikammersystems,°) seine Verwerfung der Proportionalwahl,®*) die doch den rationalistischen
Ideen ihre Ausbildung verdankt,‘”) seine nicht unbedingt absprechende Haltung gegenüber einem
organischen Wahlrecht,”) seine Verwerfung des Referendums.®) Geht er in der kurzen und aller-
dings bedingungslosen Ablehnung der Monarchie zu weit, so wird man dieses Urteil dem Bürger
einer jungen Republik und seinem Temperament, das ihn auch sonst manchmal aus der wissen-
schaftlichen Sachlichkeit hinwegreisst,*) nicht in entscheidender Weise anrechnen dürfen.
Als Vorzug der Demokratie kommt in Betracht, dass diejenigen, sei es unmittelbar, sei es
durch ihre Vertreter, über das Wohl des Landes Beschlüsse fassen, welche die Interessen des Landes
kennen, sind diese ja auch ihre eigenen.*) Weil ferner die Gesetze des Landes von den Bürgern
selbst gegeben werden, entsteht hieraus ein Ansporn zu ihrer Beobachtung.®) Auf Wertschätzung
der staatsbürgerlichen Rechte weist das allgemeine Interesse an der Fortbildung staatsrechtlicher
”) Roschor, 3l5ff.
“@) Sidgwick, 610.
®), Bryce, 1280ff.;, Sidgwick 612.
%, Esmein, 211 ff.
s) Esmein, 225f.;überihns Tecklenburg, Die Entwicklung des Wahlrechts in Frankreich, 154ff.
#2) Esmein, 213.
®) Esmein, 214.
s) Esmein, 221.
®) Esmein, 76ff.
s) Esmein, 242 ff.
#%) Tocklenburg, Entwicklung des Wahlrechts 183 ff.
ss) Esmein, 231.
Eemein, 347f.
“), Tocklenburg, Entwicklung des Wahlrechts 22#.
a) Rehm, Staatslehre 203.
@) Brvco. II 595 ff.