Hugo Preuss, Die kommunale Selbstrerwaltung in Dentschland. 215
durch die Notwendigkeit einer Übereinstimmung zweier Kollegien zu jedem Gemeindebeschlusse,
also durch ein kommunales Zweikammersystem. Dagegen steht bei dem andern Typus ein einziges
kollegialesOrgan an der Spitze der Stadtgemeinde, da der Bürgermeister von Amtswegen Vorsitzender
der Stadtvertretung ist. Das erste System überwiegt in Deutschland weitaus; die Bürgermeisterei-
Verfassung besteht nur in der preussischen Rheinprovinz, der bairischen Pfalz, im Grossherzogtum
Hessen, Elsass-Lothringen und mehreren sächsisch-thüringischen Staaten. Im kommunalen Zwei-
kammersystem ist die gesonderte Beratung und Beschlussfassung der beiden Kollegien meist dieRegel.
nur dass der Magistrat in den Sitzungen der Stadtverordneten vertreten ist und gehört werden muss.
Umgekehrt bildet nach der Hannoverschen und Schleswig-Holsteinschen St.O. gemeinschaftliche
Beratung und Beschlussfassung die Regel; jedoch wird die Mehrheit innerhalb eines jeden
Kollegiums festgestellt; ähnlich in Baden, Württemberg, fakultativ auch im Königreich Sachsen u. a.
Die Frage, ob Rats- oder Bürgermeisterei-Verfassung den Vorzug verdiene, ist eins der meist
umstrittenen Probleme kommunaler Organisation. Früher überwog wohl die Meinung, dass der
anspruchsvollere Apparat des kommunalen Zweikammersystems nur für grössere Städte geeignet
sei, während Kleinstädte sich bei dem andern, der Landgemeinde-Verfassung ähnlichen Typus
bescheiden sollten; demgemäss sieht auch die altländische preussische St.O. eine solche Verein-
fachung der Organisation für die kleinsten Städte (bis 2500 E.) vor. Neuerdings macht sich
jedoch umgekehrt die Erwägung geltend, dass gerade die grössten Städte infolge der natürlichen
Schwerfälligkeit des bei der Ratsverfassung gehäuften Kollegialsystems den rasch wechselnden
Anforderungen ihres kommunalen Lebens kaum zu folgen vermögen; und dass gerade ihnen die
rasche Schlagkraft, die Beweglichkeit und klare Verantwortlichkeit der Bürgermeistereiverfassung
dringend nottue. In der Tat erstickt die frische Initiative bei einem Geschäftsgang, der jede wichtigere
Angelegenheit durch mindestens ein halbes Dutzend verschiedener Kollegialinstanzen schleppt; denn
zu Magistrat und Stadtverordneten treten noch die betreffenden Verwaltungsdeputationen, und
regelmässig auch vorberatende Ausschüsse aller dieser Kollegien. Stimmen die Beschlüsse der ver-
schiedenen Instanzen nicht in allen Punkten überein, so wiederholt sich die umständliche Prozedur.
Die Leitung der ganzen Verwaltung und jedes einzelnen Zweiges durch Mehrheitsbeschlüsse von
Kollegien schaltet das Moment einer persönlichen Verantwortlichkeit gegenüber der Bürgerschaft
und ihrer Vertretung wie auch vor der Öffentlichkeit in bedenklicher Weise aus. Ferner schwillt die
Zahl der Magistratsmitglieder in den grössten Städten als Folge ihrer sich häufenden Arbeitslast
und doch sehr zum Schaden der Erledigung dieser Arbeit an. Nachdem von Anfang die leitenden
juristischen und sonstigen Techniker als Berufsbeamte in den Rat gekommen sind, muss sich ihre
Zahl in dem Masse vermehren, wie sich die kommunale Tätigkeit ausdehnt. Wenn der juristische
Fachmann wie der des Schulwesens, des höheren und niedern, des Hoch- und Tiefbaues im Magistrat
sitzt, so gehört auch der Techniker des Medizinalwesens, des Verkehrswesens und mancher andrer
Verwaltungszweige hinein. Von der Möglichkeit, Berufsbeamte als Ressortchefs ausserhalb des
Magistrats, also unter ihn zu stellen, kann desshalb kein genügender Gebrauch gemacht werden,
weil solche Stellung für die Person wie für den Verwaltungszweig als untergeordnet im Vergleich
zur Mitgliedschaft im Magistrat erscheint. Auch sind die Stadtverordneten regelmässig einer
solchen Massregel wenig geneigt, weil sie auf die Anstellung dieser Beamten ohne entscheidenden
Einfluss sind, der vielmehr beim Magistrat liegt, während sie die Magistratsmitglieder wählen. Wahl
und Wiederwahl sind aber gerade im Kollegialsystem fast das einzige Mittel, eine persönliche Ver-
antwortlichkeit geltend zu machen. In dem Masse, wie demnach die Zahl der Berufsbeamten im
Magistrat anwächst, muss nun weiter auch die Zahl der ehrenamtlichen Mitglieder steigen, wenn
dieses Element, das ursprünglich als ausschlaggebend gedacht war, nicht zur Bedeutungslosigkeit
herabgedrückt werden soll, womit dann ein Lebensnerv bürgerlicher Selbstverwaltung durch-
schnitten wäre. Mit alledem ergeben sich jedoch unförmlich grosse Magistratskollegien, deren Be-
ratungen und oft vom Zufall abhängige Mehrheitsbeschlüsse den Gang der Verwaltung unerträglich
hemmen und die Zeit der mit laufender Arbeit belasteten Mitglieder meist unfruchtbar vergeuden.
Zu erheblichem Teil fallen diese Missstände bei der Bürgermeisterei-Verfassung fort; aber sie
erzeugt dafür andere. Gewiss ist die Verantwortlichkeit für die Leitung der ganzen Verwaltung
eine weit klarere, wenn die Vertretung der Bürgerschaft_nicht ein anonymes Kollegium, sondern