Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Fran» Dochow, Freizügigkeit. 961 
betreiben.?2) In diesen Rechten darf er nicht gehindert oder durch lästige Bedingungen ?) beschränkt- 
werden, insbesondere nicht um des Glaubensbekenntnisses*) willen oder wegen fehlender Landes- 
oder Gemeindeangehörigkeit. Ausnahmen sind jedoch zugelassen im Interesse der 
öffentlichen Sicherheit und mit Rücksicht auf die öffentliche Armen- 
pfle 
u Aufenthaltsbeschränkungen und Aufenthaltsverweigerungen sind aus sicherheitspolizei 
lichen GründengegenüberbestraftenPersonenzulässig. Wenn bei einer Person 
neben der Freiheitsstrafe auf Zulässigkeit derPolizeiaufsichtauf Grund des $ 38 des Reichs- 
strafgesetzbuchs erkannt ist, so erhält die Landespolizeibehörde die Befugnis, dem Verurteilten den 
Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten zu untersagen (R.Str.G.B. $ 39). 2) Ferner kann Personen, 
die kraft landesgesetzlicher Vorschriften, die neben dem Freizügigkeitsgesetz und neben dem Reichs- 
strafgesetzbuch ihre Geltung behalten haben,°) wegen gewisser Verbrechen oder 
zugewissen Strafen verurteilt sind, der Aufenthalt in einzelnen Orten untersagt 
werden. Wer derartigen Aufenthaltsbeschränkungen i in einem Bundesstaate unterliegt oder wer 
währendderletztenzwölfMonatewegenBettelns oder wegen wieder- 
holterLandstreicherei bestraft wordenist, dem kann von der Landespolizei- 
behörde der Aufenthalt in jedem anderen Bundesstaate verweigert werden,?) aus seinem Heimat- 
staate kann er aber nicht ausgewiesen werden. 
Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden oder ordensähnlichen Kon- 
gregationen sind vom Gebiete des Deutschen Reiches ausgeschlossen. Die Errichtung von Nieder- 
lassungen ist ihnen untersagt.°) 
Da der Reichsdeutsche einer fremden Regierung nicht ausgeliefert, aus seinem Heimatstaat 
nicht ausgewiesen und zur Auswanderung nicht gezwungen werden kann — er kann das Reichs- 
gebiet freiwillig verlassen, wenn er seinerMilitärpflicht genügt hat —, so besteht keine Möglichkeit, 
einem lästigen Inländer den Aufenthalt im Deutschen Reiche unmöglich zu machen. 
II. Damit sich die Gemeinden und Armenverbände voreiner Überlastung der 
öffentlichen Armenpflege schützen können, sind sie befugt, eine neuanzie- 
2) Die Gewerbeordnung für das Deutsche Reich bestimmt im $ 1, dass der Betrieb eines Gewerbes jeder- 
mann gestattet ist, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen und Beschränkungen vorgeschrieben oder zuge- 
lassen sind, Nach $ 13 soll die Zulassung zum Gewerbebetriebe in keiner Gemeinde und bei keinem Gewerbe vom 
Besitze des Bürgerrechts abhängig sein. 
3, Beispielsweise durch Erhebung von Gebühren für Anzug, Abzug oder Aufenthalt, durch die Forderung 
von Leumunds- oder Vermögensnachweisen. Meyer- Dochow, Deutsches Verwaltungsrecht? $ 23 S. 111. 
4) Durch Gesetz, betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und stastsbürgerlicher 
Beziehung vom 3. Juli 1869 wurden alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses 
hergeleiteten Beschränkungen aufgehoben. — Vgl. auch das G. über die Aufhebung der polizeilichen Beschrän- 
kungen der Eheschliessung vom 4. Mai 1868, das nur in Bayern nicht gilt. 
$) Die Aufenthaltsbeschränkung kann sich auf Ortschaften oder auf bestimmte Plätze, Strassen und 
Häuser beziehen, darf aber nicht zu einer Anweisung eines bestimmten Aufenthalts führen. Frank, Kommentar 
zum R.Str.G.B. $ 39 V. Vgl. auch die Begründung zum Vorentwurf eines Deutschen St.G.B. Allgem. Teil 
1909 $ 182. 
®) Namentlich das preuss. G. über die Aufnahme neuanziehender Personen vom 31. Dez. 1842 $2. Danach 
ist die Landespolizeibehörde zur Aufenthaltsbeschränkung, „jedoch nur in Ansehung solcher Sträflinge befugt, 
welche zu Zuchthaus oder wegen eines Verbrechens, wodurch der Täter sich als einen für die öffentliche Sicherheit 
und Moralität gefährlichen Menschen darstellt, zu irgend einer andern Strafe verurteilt worden oder in einer andern 
Korrektionsanstalt eingesperrt gewesen sind“. — Über die landesrechtlichen Bestimmungen in Bayern, Sachsen, 
Württemberg und Anhalt vgl. Kutzer, Art. Freizügigkeit, Wörterbuch? 1,857. 
”) F.G. $ 3 Abs. 2. 
®) Gesetz, betr. den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872 $ 1. Der durch Gesetz vom 8. März 
1904 aufgehobene $ 2 dieses Gesetzes bestimmte, dass die Angehörigen des Ordens usw., wenn sie Ausländer waren, 
aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurden; wenn sie Inländer waren, konnte ihnen der Aufenthalt in bestimmten 
Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden. Vgl. Falck, Die Rückwirkung einer Aufhebung des Jesu- 
itengesetzes auf die in den deutschen Einzelstaaten schon früher bestandenen Verbotsgesetze über den Orden der 
Gesellschaft Jesu. Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht. 4,1.
	        
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