Friedrich Oetker, Schwurgericht und Schöffengericht. 367
und (in nicht ausreichendem Masse) der Geschworenen (in Frankreich beides nur durch die
Praxis gewährt) — bestimmten Fragen die Richtung gegeben, während ein Vortrag des Präsi-
denten an die Geschworenen, in Deutschl., Ungarn, ital. E. 1905 u. 1909 mit der Aufgabe nur der
Rechtsbelehrung (formell nicht bindend), in Österr., Italien, Norwegen zugleich im
Sinne des unparteiischen Resumes der Verhandlungen (Beeinträchtigung der
Selbständigkeit der Schuldbeurteilung) den Abschluss bildet. Frankreich kennt nicht die Rechts-
belehrung (Jury vermeintlich nur mit der Tatfrage befasst) und seit Ges. 19. 6. 1881 auch nicht
das Resume, doch fehlt es nicht an z. T. bedenklichen Surrogaten (Aufklärungen durch den Präsi-
denten im Beratungszimmer pp).
Das Fehlen der Wahrspruchs-Begründung weist die Urteils-Anfechtung wegen falscher Aus-
legung des Strafgesetzes in sehr enge Grenzen. Eine Reform hätte Stärkung des juristischen Ele-
ments unter Erhaltung der Unabhängigkeit des Wahrspruchs von der Verhandlungsleitung (durch
Heranziehung eines rechtsgelehrten Geschworenen),5) Wahrspruchs-Begründung,6) weitergehenden
Einfluss der Geschworenen auf die Fragenstellung, Vereinfachungen pp. anzustreben. Beteiligung
der Geschworenen an der Strafbestimmung wäre zu erwägen.7) Ein Vorzug von Österr. 315 (Ungarn
351) ist das Recht der Geschworenen, der Richter der Schuld, zu Beweisanträgen an das Gericht.
Die Geschworenen haben Urteilsgewalt an der Hand der Gesetze, nicht Gnadengewalt, nicht
ein vom Gesetze entbundenes Volksrichteramt (dazu Eirimeyer, Strafprozessrecht S. 224 fg.).
IV. Nur nach durchgreifender Reform der Jury (Minderung des Personalbedarfs pp.) käme
ihre Verwendung in der Mittelstufe in Betracht (,korrektionelle‘ Jury in Genf und Neuenburg).
Die gegebene Gestalt der J. hat in Frankreich die gegenteilige Tendenz hervorgerufen, Schwur-
gerichtssachen durch Unterdrückung erschwerender Umstände vor die Beamten-Gerichte zu
bringen (,Korrektionalisierung‘).
Die öfters bestimmte Zuständigkeit der Geschworenen für politische und Press-Delikte
(Österr. 484, Ungarn Einf.-Ges. 15, Bayern, Württemberg, Baden, Oldenburg: Pressdelikte; in
Frankreich diese Zuständigkeit eingeschränkt durch Ges. 16. 3. 1893)8) führt auf das Streben zurück,
diese nicht immer scharf zu umgrenzenden, erweiternder Auslegung leicht zugänglichen Tatbestände
im Interesse ungehemmter politischer, publizistischer Betätigung dem Beamtengerichte zu ent-
ziehen und erübrigt sich durch eine diesen Anlass beseitigende Gesamtreform der Gerichtsver-
fassung.
Schwurgerichte als Ausnahmegerichte lediglich für Presssachen (Österr. Ges. 9. 3. 1869,
Schweden) verleiten zu ungesetzlichen Entscheidungen nach subjektiven Rechtsüberzeugungen
und dem Parteistandpunkte.?)
V, Das kontinentale Recht unterwirft Schwurgerichtsurteile bezüglich des Schuldentscheids
einer Nachprüfung nur im Rechtspunkt. Dagegen hat Crim. Appeal Act v. 1907 — 7 Edw.7c.13 —
(Mendelssobn-Bartholdy, Imperium des Richters S. 210 fg.) unter völligem Bruch mit der Tradi-
tion ein rechtsgelehrtes Beamtengericht den Schwurgerichten auch in der Tatfrage übergeordnet
(stark abweichend von der deutschen Berufungsgestaltung).
Die herrschende deutsche Rechtsanschauung könnte, auch abgesehen vom Mangel der Be-
gründung des Spruchs, eine zu dessen Nachprüfung geeignete Instanz weder in einem Berufungs-
Beamten-, noch in einem Berufungs-Schwurgericht finden.
0) gerkehrt Anteilnahme des Präsidenten an der Geschworenen-Beratung nach Genf 1. 10. 1890 Art.
208 Abs.
% Ein technisch nicht befriedigender Ansatz dazu liegt in den „Kontrollfragen“ nach Österr. 323 (Vor-
echlag v. Bar’s; nicht in Ungarn), d. h. in Zusatzfragen, welche bezwecken, ein in die Fragen aufgenommenos
gesetzliches Merkmal auf das ihm entsprechende tatsächliche Verhältnis zurückzuführen. Noch bedenklicher die
Fragenzeriegung im ital. E. 1905 Art. 486, 488 (beseitigt im E. 09).
?) So Geuf 1. 10.1890. Vgl. den Kommiss.-Bericht der franz. Deput.-Kammer 1908 N. 1793 über die Ent-
würfe Peret und Briand. Vielfache Petitionen franz. Geschw.-Kullegien streben das an, rev. Ben 34, 410, 1073;
35, 161 pp. So auch Beschluss der Schwurger.-Kommiss. der J.-K.-V. und ital. E. 1909 art, 43
8) Dazu Birkmeyer, Strafprozessrecht S. 227.
9) Über die Erfahrungen in Österreich; v. Liszt, österr. Pressrecht S. 25fg.