Wolfgang Michael, Geschichte des Parlamentarismus in England. 389
Sie ist 1660, 2 Jahre nach seinem Tode, erfolgt. Aber die wiederhergestellten Stuarts ver-
mögen sichnichtlange zu behaupten. Jakob II. wird 1688 durch „die glorreiche Revolution“ vertrie-
ben. Die Krone wird seiner Tochter Maria und ihrem Gatten Wilhelm von Oranien gemeinsam über-
tragen. Als eine Bedingung ihrer Erhebung mussten sie 1689 der berühmten „Bill of Rights“, der
Erklärung der Rechte, ihre Zustimmung erteilen. Von diesem Tage an herrschte in England das
konstitutionelle Königtum. Die Autorität des Parlaments wurde in weitem Umfange aufgerichtet.
Sein Recht der Gesetzgebung wird feierlich anerkannt, der König darf nicht mehr, wie Jakob II. es
getan, von den Gesetzen dispensieren. Ebenso wird das Recht der Steuerbewilligung sichergestellt.
Ohne Zustimmung des Parlaments darf in Friedenszeiten keine stehende Armee unterhalten werden.
Die Mitglieder des Unterhauses sollen frei gewählt werden; ihre Rede, ihre Debatten dürfen nicht
angefochten werden ausserhalb des Parlaments.
Auf der Grundlage der „Erklärung der Rechte‘ ist allmählich auch das sogenannte parlamen-
tarische System, die reine Parlamentsherrschaft erwachsen. Zu dieser Entwicklung trugen noch
verschiedene Umstände bei. Zunächst ist das Aufkommen der beiden Parteien, der Whigs und
Tories, zu bemerken. Aus den Gegensätzen des Bürgerkrieges hervorgegangen, vertraten die Whigs
das Recht des Widerstandes und ein freies Kirchentum, die Tories das Prinzip des passiven Gehor-
sams und der Treue zur Staatskirche, also die einen die grösseren parlamentarischen Rechte, die
andern ein stärkeres Königtum. Seither haben freilich die Prinzipien und Programme der beiden
Parteien oft gewechselt. Man erkennt allenfalls in den heutigen Liberalen und Konservativen (Unio-
nisten) noch die Nachfolger der ehemaligen Whigs und Tories. Für die Technik des Parlamentaris-
mus aber tritt die Bedeutung der Programme zurück hinter der Tatsache, dass es überhaupt zwei
Parteien sind, die miteinander um die Herrschaft im Parlamente ringen. Wenn es auch noch bis
tief ins 18. Jahrhundert hinein zum guten Ton gehört, ihr Vorhandensein zu beklagen, als ob die
Einheit der Nation dadurch verloren sei, so verschwinden sie doch nicht mehr. Für den Souverän
folgt daraus die Notwendigkeit, sich mit derjenigen Partei ins Einvernehmen zu setzen, welche die
Mehrheit im Unterhause besitzt. Insofern er sich allmählich gezwungen sieht, mit der Zusammen-
setzung seiner Ministerien der wechselnden Übermacht der einen oder der anderen Partei im Par-
lamente zu folgen, erhält man nun das Bild von Whig- und Toryministerien. Wilhelm III. (1688
bis 1702) und Königin Anna (1702—1714) haben es gelegentlich noch mit gemischten Ministerien
versucht. Mit der Thronbesteigung des Hauses Hannover (1714) wird das Parteikabinett die Regel.
Um dieselbe Zeit wirken zwei Umstände auf die Schwächung der Monarchie hin, insofern
sie nicht schon an sich als ein Zeichen ihrer Schwäche zu gelten haben. Der erste betrifft den Anteil
der Kronean der Gesetzgebung. Nach der Verfassung wird eine in beiden Häusern des Parlaments
angenommene Vorlage erst durch die Zustimmung des Königs zum Gesetz. Diese Zustimmung ist
zum letztenmal 1708 von der Königin Anna versaet worden, seither niemals wieder. Damit schied
die Krone zwar nicht rechtlich, aber doch tatsächlich aus der Reihe der gesetzgebenden Faktoren
aus, deren es fortan nur noch zwei gab, nämlich die beiden Häuser des Parlaments. In zweiter Linie
st hier von der veränderten Stellung des Kabinetts zu reden. Dieses war im 17. Jahrhundert entstan-
den als der Kreis der höchsten Staatsbeamten, welche regelmäss’g unter dem Vorsitz des Souveräns
die wichtigsten Staatsangelegenheiten zu entscheiden pflegten. Das Kabinett war (und ist noch
heute) eine von der Verfassung nicht vorgesehene Behörde, von deren Existenz die Gesetzgebung
nur einmal, im Jahre 1701, Notiz nahm. um sie inder ..Actof Settlement“, welche das Haus Hannover
zur Thronfolge berief, förmlich abzuschaffen. Der König so'lte sich, war die Meinung, von dem ge-
setzlich anerkannten Privy Council beraten lassen, nicht aber von einem willkürlich zusammenge-
setzten Kollegium von Staatsbeamten. 1706 aber ward diese Bestimmung wieder aufgehoben
und damit. das Kabinett zwar nicht. ansetzlich anerkannt. aber auch nicht, mehr gesetzlich verboten.
Aber nun entzog sich das Kabinett selbst allmählich der persönlichen Leitung des Souveräns.
Unter Königin Anna (1702-1714) geschieht es häufig, dass sich die Mitglieder des Kabinetts auch
in Abwesenheit der Herrscherin versammeln. Sie werden dann meist als „Committee of Council“
bezeichnet. Sie arbeiten den eigentlichen Kabinettssitzungen vor, d.h. sie erwägen das Für und
Wider der Beschlüsse, die zu fassen sie der Königin im Kabinette empfehlen wollen. Unter Georg I.
(1714—1727) ist es zunächst nicht anders. Auch er hat in’den ersten Jahren seiner Regierung die
Minister im Kabinette um sich versammelt. Doch es geschieht allmählich seltener, und von regel-