92 Julius Wolf, Die öffentlichen Abgaben in Deutschland.
nahezu 170 Millionen Erbschaften von Nichtverwandten. Schenkungen unter Lebenden wurden
1911 im Betrage von 62 Millionen Mark zur Steuer genommen.
Wie die Reichserbschaftssteuer ist auch die Tanti&emensteuer der Stengel’schen
Reichsfinanzreform von 1906 zudanken. Sie sieht ihren Rechtsgrund darin, dass die Tantieme, das
Aufsichtsratseinkommen, leichter (ob mit geringerer Leistung oder nur mit geringerem Arbeits-
aufwand, lässt sich generell nicht beantworten!) gewonnen erscheint als das Arbeitseinkommen
und sich in diesem Sinn wieder, mindestens zu einem Teile seines Betrags, als Glückseinkommen
darstellt. Die Bezüge der Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften u. dgl. sind darnach einer be-
sonderen Abgabe (über die Einkommensteuer hinaus) zu vollen 8 vom Hundert unterworfen. Der
Ertrag der Steuer, die seltsamerweise gleichfalls unter „Reichsstempelabgaben“ geführt wird,
war 1912 6.5 Millionen Mark, was ein steuerpflichtiges „Aufsichtsratseinkommen‘ in Deutschland
von rund 80 Mill. Mark ergibt.
Gleichfalls eine Einl gä gssteuer, wenn auch nicht vom Glücks- (,‚Konjunktural-)
Gewinn, sondern einfach von Einkommen aus Mobiliarvermögen ist dieTalonsteuer von den
Zinsbogen der Wertpapiere, mit 1 % des Nennwerts der Wertpapiere, wenn dieselben Aktien sind,
mit 4, %, wenn dieselben Renten- und Schuldverschreibungen, mit !/, %, wenn sie Schuld-
verschreibungen von Kommunen sind, und mit Befreiung der Zinsbogen von Renten- und Schuld-
verschreibungen des Reiches und der Bundesstaaten. Die Normaldauer der Zinsbogen ist 10 Jahre
(falls die Bogen Zinsscheine für einen längeren als zehnjährigen Zeitraum enthalten, erhöht sich die
Steuer um ein Zehntel für jedes fernere Jahr), sodass sich die Steuer beispielsweise für Aktien auf
jährlich !/,, Prozent vom Werte solcher und bei einem Ertrag der Aktien zu 5 % mit 2 % des Er-
trages berechnet. Bei 14, oder 11, % allgemeiner Vermögenssteuer (vgl. Preussen) würde dieselbe,
soweit es sich um Aktienerträge handelt, durch die Talonsteuer eine reichliche Verdoppelung er-
fahren. Der Ertrag der Talonsteuer war 1911 11.7, 1912 10 Mill. M.
Anstelle der seit 1911 erhobenen Wertzuwachssteuer von Grundstücken ist im Reiche 1913eine
allgemeine Vermögenszuwachssteuer getreten. Dieser Steuer unterliegt aller Vermögens-
zuwachs, der binnen 3 Jahren 10000 M. übersteigt, bei einem Gesamtvermögen von über 20 000 M.
Die Begründung des Gesetzes hebt hervor, es solle der „‚Vermögenszuwachs im weitesten Sinne“ zur
Steuer genommen werden, und nach ihr umfasst der Vermögenszuwachs folgende 4 Hauptgruppen:
a) den Vermögenserwerb auf Grund von Rechtstiteln, die dem Erbrecht angehören,
sowie auf Grund von unentgeltlichen Zuwendungen unter Lebenden,
b) den Vermögenserwerb durch Spekulationsgewinn und infolge sonstiger
Glückszufälle (z. B. Lotteriegewinn),
c) die Erhöhung des Vermögenswertes durch eine Wertsteigerung einzelner Ver-
mögensgegenstände, z. B. Grundstücke, Wertpapiere, (Konjunkturgewinn, Wertzuwachs
im engeren Sinne),
d) die Vermögensbildung aus erspartem Einkommen.
Die Kategorien a, b, c weisen wissenschaftlich gesehen auf eine Besteuerung von zu Kapital ge-
machtem, ‚Vermögen‘ gewordenem Konjunktureinkommen hin,:) die Gruppe d rafft alles übrige
Vermögen gewordene Einkommen zusammen; insgesamt liegt also eine Vermögenssteuer vor, die
ihren Rechtsgrund zum Teile aus der besonderen Art der Einkommen, die sich zum Vermögen
„niederschlagen“, zu nehmen trachtet. Nicht zu übersehen ist, dass nach dem Gesagten die Ver-
mögenszuwachssteuer auch eine Erbschaftssteuer in sich schliesst, insofern die Erbschaft während
der dreijährigen Periode, auf die hin der Vermögenszuwachs konstatiert wird, nicht etwa wieder
verloren worden ist.
Der Tarif der Vermögenszuwachssteuer ist etwas kompliziert. Es werden 6 Stufen unter-
schieden: bis zu 50 000 M., über 50000 bis 100 000 M., über 100 bis 300 C00 M., über 300 bis
500 000 M., über 500 000 bis zu 1 Million M. und über 1 Million Mark Zuwachs. In der untersten
Stufe ist. der Steuersatz 0.75 % des Zuwachses, er steigt mit jeder Stufe um je 0.15 % des Zuwachses,
°) Vgl. hierzu die Ausführungen des Vorkämopfers einer allgemeinen Zuwachssteuer, Landıats v. Dewitz,
Erbzuwachssteuor als Besitzsteuer 1912, S. 15 ff.