Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

94 Julius Wolf, Die öffentlichen Abgaben in Dentschland. 
Vermögen bis zu 10.000 M. sind frei, bei einem Einkommen von nicht mehr als 2000 M. geht die 
steuerfreie Vermögensgrenze bis 50 000 M. und bei einem Einkommen von mehr als 2000, aber 
nicht über 4000 M. auf 30.000 M. Jedoch tritt neben diese Vermögenssteuer eine Einkommens- 
steuer, beginnend bei einem Einkommen bis zu 10.000 M. mit 1 vom Hundert und ansteigend bis 
8 vom Hundert bei einem Einkommen von mehr als 50000 M. Als Einkommen gilt der auf 
Grund des Land tzes als solches festgestellte Betrag. In den Bundesstaaten 
ohne Einkommensteuer trifft die Landesregierung Bestimmungen über die Ermittelung des Ein- 
kommens. Von dem festgestellten Einkommen wird, wenn gleichzeitig ein Vermögensbeitrag 
pflichtig ist, ein Betrag abgezogen, der einer 5 %igen Verzinsung des abgabepflichtigen Vermögens 
entspricht. Abgabenfrei sind die Einkommen von nicht über 5000 M. 
Vermöge der Einsetzung des „steuerfreien Existenzminimums‘ mit 5000 M. bleibt die grosse 
Masse, zumal der Arbeiter, von der Wehrsteuer frei, nur die Schicht der mit mittleren Einkommen 
Ausgestatteten und der Wohlhabenden, wie Reichen hat als durch sie betroffen zu gelten. Die 
Einnahmen aus dem Wehrbeitrag sind ausschliesslich zur Deckung der Kosten zu verwenden, die 
suf Grund der Heeresverstärkungsvorlage von 1913 entstehen. 
Bemerkenswert sind die Hinterziehungsstrafen, mit denen der Wehrbeitrag ausgestattet 
ist. Siesind weit schärfer als bisher in Deutschland üblich. Der Entwurf hatte nur Geldstrafen vor- 
gesehen, wenn auch solche zu hohem Betrage. Kommission und Plenum des Reichstages haben noch 
eine Gefängnisstrafe bis zu 6 Monaten zugefügt, auf die neben der Geldstrafe (dem zwanzigfachen 
Betrage des gefährdeten Wehrbeitrags) im Falle der Absicht der Hinterziehung erkannt werden kann, 
wenn der gefährdete Beitrag nicht weniger als 10 %, des geschuldeten Wehrbeitrags, mindestens 
aber 300 M. erreicht oder wenn der Wehrbeitragspflichtige Vermögen vom In- ins Ausland gebracht 
hat in der Absicht, dieses Vermögen der Veranlagungsbehörde zu verheimlichen. Einen gewissen 
Ausgleich bietet die gleichzeitig erklärte Straffreiheit für bisher unter der Staatssteuer 
hinterzogene Vermögens- oder Einkommensbeträge, wenn sie bei Gelegenheit der Veranlagung zur 
Webrsteuer oder in der Zwischenzeit seit Inkrafttreten des Gesetzes bei der Veranlagung zu 
einer direkten Staats- oder Gemeindesteuer deklariert werden. 
2. Entwicklung und EntwicklungstendenzenimReichsabgaben- 
stem. 
In der Entwicklung der Reichsabgaben der letzten Jahre ist, wie schon eingangs bemerkt, 
als auffallend das verhältnismässige Zurücktreten der Einnahmen aus Zöllen und Aufwandsteuern 
gegenüber jenen aus Verkehrs- und Einl teuern zu verzeichnen. Das ist aller- 
dings ein ganz „natürlicher“ Vorgang. Er ergibt sich als notwendig aus der schon in meiner „Reichs- 
finanzreform“ mit Nachdruck hervorgehobenen Tatsache, dass das Reich insofern in einer „Zwick- 
mühle‘' ist, als ein aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorgegangener Reichstagdirekte Steuern 
und Durchsetzung der Steuerprogression an allen Ecken und Enden, für welche vor allem die 
direkten Steuern ein Mittel sind, bevorzugen muss, während aus Rücksicht auf die Bundes- 
verfassung, bezw. die Bundesstaaten, wie aus steuertechnischen Gründen das Reich auf die 
indirekten Steuern hingewiesen bleibt. Der Begehr nach direkten statt indirekten Steuern und 
der Kampf um solche mit den Bundesstaaten wird sich im Reiche noch oft wiederholen und gleich- 
zeitig wird der Ausbau der indirekten Steuern verhältnismässig zurückbleiben.°) Übereinstimmend 
damit konnte esim Reich zur Errichtung von Monopolen, die eine schärfere Heranziehung des 
Konsums zulassen, bisher überhaupt nicht kommen. Da das’ Reich indirekte Steuern 
nicht will, die direkten aber mindestens im wesentlichen den Einzelstaaten vorbehalten bleiben 
müssen, war auch die Finanzpolitik der Verlegenheit, die das Reich wiederholt trieb, indem es ohne 
innere Not,d. h. unter Verzicht auf eine stärkere Erschliessung indirekter Steuerquellen Schulden 
kontrahierte, durchaus „logisch“, d. h. durch die Verhältnisse bedingt, uud wird gleichfalls aller 
Wahrscheinlichkeit nach, zumal wenn die Verhältnisse des Geldmarkts einer Schuldenwirtschaft 
günstiger geworden sind, wieder neu aufleben. Insofern aber aus einer anderen inneren Not- 
!%) Vgl. hierüber Julius Lissner, d. Zukunft der Verbrauchssteuern in Deutschland (Finanzwirtsch. 
Zeitfragen, 9. Ileft) 1914.
	        
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