Julius Wolf, Die öffentlichen Abgaben in Deutschland. 95
wendigkeit heraus der Löwenanteil bei Aufbringung der Reichseinnahmen immer noch den Zöllen
und Verbrauchssteuern verbleiben muss, so wird hier im Laufe der Zeit mindestens ein Aus-
tausch sozialpolitisch anstössigerer gegen sozialpolitisch minder anstössige indirekte Steuern,
bezw. Zölle erfolgen. Vor allem dürfte der Getreidezoll mit seinen bald 300 Millionen Ertrag
in dem bisherigen Umfang früher oder später gefährdet sein. Wie Ersatz dafür zu schaffen, ist,
zumal bei besonders starker Besetzung deräussersten Linken im Reichstag, gleichfalls eine Frage, die,
wenn auch rein finanzpolitisch besehen, nicht allzu schwer zu lösen, doch vermöge der Direktiven
und Nötigungen, die ein Volksparlament der gedachten Art in sich schliesst, wieder eines der
schwierigsten Probleme darstellt, dessen Lösung sich ohne Krisen sicher nicht vollziehen wird.
An Finanzkämpfen wird es dem Reich sonach auch in Zukunft nicht fehlen, vermöge des Wider-
streits der von den politischen Gewalten in Reich und Bundesstaaten gesuchten und der ihnen
zugebilligten und aus steuertechnischen Gründen zuzubilligenden besonderen Steuergattungen,
kürzer vermöge des Umstandes, dass das Reich stets nach direkten Steuern, die den Einzel-
staaten im Interesse ihrer Erhaltung vorbehalten bleiben müssen, begehren wird unter Vernach-
lässigung der indirekten Steuern, die auch jetzt noch weitgehende Entwicklungsmöglichkeiten
haben.) ‘
JII. Die Abgaben der Einzelstaaten.
1. Die Abgabenkategorien.,
Das Abgabensystem der Einzelstaaten, längere Zeit in Umbildung begriffen, hat jetzt fast
überall in Deutschland in den Grundzügen zweifellos auf sehr lange hinaus die endgültige Gestalt
gewonnen. Den entscheidenden, wenn auch nicht den ersten Anstoss für diese Umbildung hat
die aus wissenschaftlichen Ideen schöpfende Miquel’sche Steuerreform in Preussen gegeben, die,
unter Verzicht auf die Ausnutzung der alten Ertragssteuern — Grund-, Gebäude-, Gewerbesteuer —
für den Staat die Einkommensteuer, ergänzt durch eine Vermögenssteuer, zum Rückgrat des
preussischen Steuersystems machte. In diese Richtung gingen und geht nun auch die Umbildung
des Steuersystems der anderen Bundesstaaten, wenn auch nicht mit dem gleichen Radikalismus,
insofern ausserhalb Preussens der Weg des völligen Verzichts des Staates auf die älteren Ertrags-
steuern — sicherlich mit Recht — nur vereinzelt beschritten worden ist.
Die Abgaben der Einzelstaaten gliedern sich offiziell in A) Allgemeine Einkommensteuern,
B) anderweitige direkte Steuern, C) sogenannte Verkehrssteuern, D) die Erbschaftssteuer, E) Ver-
brauchssteuern. Die vier letzten Steuerkategorien treten aber der Einkommensteuer gegenüber
immer mehr zurück. Nach den letzten Daten — zusammengestellt in den unterm 31. Mai 1913
vom Reichskanzler dem Reichstag vorgelegten „Materialien zur Begründung der Entwürfe von
Gesetzen über einen einmaligen ausserordentlichen Wehrbeitrag und betreffend Aenderungen im
Finanzwesen‘ — waren — gemeinhin in 1912 — im Budget der Bundesstasten am Gesamt-
aufbringen beteiligt
A) Allgemeine Einkommensteuer mit 547 Mill. M. = 54.9 %, der gesamt. Steuereinnshm.
B) Anderweitige direkte Steuern „20 „ „ -21.1% „ » »
C) Sogenannte Verkehrssteuern „ 16 „ „ -107% » „ »
D) Erbschaftssteuer » 3 „= 23% » » »
E) Verbrauchs- u. Aufwandsteuern „10 „ „ -10% » » „
A) Allgemeine Einkommensteuer.
Die allgemeine Einkommensteuer spielt eine geradezu ausschlaggebende Rolle im Abgaben-
wesen Preussens und Sachsens. In Preussen bringt sie 71 v. H. aller Staatssteuereinnahmen, in
Sachsen 74 v. H. Geringer sind ihre Erträge in Süddeutschland. In Bayern ist sie überhaupt erst
jetzt, d.h. von 1912 an zur Einführung gelangt, in Württemberg und Baden, wo sie seit längerer
1) Vgl. Strutz, Reichs- und Landessteuern (in den Finanzwirtschaftlichen Zeitfragen, herausgegeben von
Georg v. Schanz und Jul. Wolf) 1913 S. 17 und 18ff., sowie die vorhin genannte Schrift von Lissner in der
gleichen Sammlung.