Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

104 Julius Wolf, Die öffentlichen Abgaben in Deutschland. 
  
sind z. B. Salzsteuer und Getreidezoll anders zu beurteilen, als Branntwein- oder Biersteuer®*); 
der Fall liegt darum ganz verschieden, je nachdem das Schwergewicht der indirekten Steuern 
bei diesen oder jenen Steuern liegt. Und es ist auch ein anderes, ob eine direkte Steuer 
bei Einkommen von 3000 oder 1000 oder 500 Mk. beginnt, d. h. die Einkommen darunter 
freilässt, sowie ob sie die grossen Einkommen zum Zwei- oder Vier- oder Achtfachen der den 
kleinen gewidmeten Quote zur Steuer nimmt. Mit dem Vergleich einfach der direkten 
und indirekten Steuern in den verschiedenen Ländern ist es also in der Tat noch nicht 
getan. Das von der Einkommensteuer freie Existenzminimum ist ia England 3200 Mk. 
gegen 900 Mk. in Preussen, 400 Mk. in Sachsen, dagegen ist allerdings die Progession in 
den deutschen Bundesstaaten bei Berücksichtigung der Gemeindesteuern®) (ohne solche nicht!) 
eine ausserordentlich viel schärfere. Nach dem Gesagten muss es also auch als bedenklich gelten, 
einfach das Ziffernverhältnis von direkten und indirekten Steuern, ohne weiteren Vorbehalt, zu 
vergleichen und darauf die Würdigung der Abgabensysteme der verschiedenen Staaten aufzubauen. 
Da es sehr verschiedene direkte, wie indirekte Steuern gibt, sind die gleichen Ziffern je nach 
den besonderen Verhältnissen von sehr verschiedener Bedeutung, und mehr als die äussersten 
Konturen des Bildes der Wirklichkeit werden durch sie nicht geliefert. 
Jenes Verhältnis besagt aber auch darum nicht zu viel, weil vonderabsoluten Höheder 
Steuerlast pro Kopf bezw. pro Einkommenseinheit, richtig pro Einheit des Real- (nicht des Nominal-) 
Einkommens mindestens für den ins Auge gefassten Zweck nicht weniger abhängt, ja im allgemeinen 
mehr als von der Ziffer der Verteilung (diedurch Überwälzungsvorgänge vielfach wieder in Frage 
gestellt wird, auch bei direkten Steuern).?*) 
Was nun die Gesamtsteuerlast betrifft, so wurde sie vor und nach der Reichs- 
finanzreform von 1909 angegeben 
vor 1909?) nach 1909 
auf Mark pro Kopf 
in Deutschland . . . 49,00 62,75 
in Frankreich . . . . 82,68 96,09 
in England ..... 96,09 106,07 
Die Ziffern haben nur als Näherungswerte zu gelten. Aber jedenfalls ergibt sich aus ihnen, dass 
der „Kopf“ in England gegen den „Kopf“ in Deutschland ungleich stärker belastet ist. Die Steuer- 
last in Frankreich pro Kopf ist gegen die unsere um rund 50 %, die in England um rund 70 % höher! 
Indess ist nicht zu übersehen, dass selbst die Ziffern der absoluten Steuerlast nicht „alles‘‘ sagen, 
da die Zwecke, denen die Einnahmen zugeführt werden, trotz gemeinsamer Züge, welche die 
Entwicklung derselben in den verschiedenen Kulturstaaten aufweist, immerhin recht verschieden 
sind.*) Die Möglichkeit einer statistischen Rücksichtnahme auf sie fehlt allerdings wieder so 
gut wie ganz. Doch kann gesagt werden, dass sich auch hier die Verhältnisse in Deutschland 
(vermöge der Aufwendungen für Sozialversicherung, Schulen usw.) als günstig ausweisen. 
Was dann die Verteilung der Gesamtsteuerlast auf die verschiedenen Klassen der 
Einkommensbezieher betrifft, so ist man unter Benützung der sorgfältigen Vorarbeiten zunächst 
®) Vgl. hier auoh meine Reichsfinsnzreform Beilage III „Die soziale Überlegenheit der Massenluxus- 
stouern über die Steuern auf Notwendiges.“ 
2) Vgl. hier u. 0. Ballod, „Der Streit um die finanzielle Belastung des deutschen Volkes“, in Con- 
rads Jahrbüchern 1908. 
:*) Vgl. u. a. v. Mayr, Zwei Schriften zur Reichsfinanzreform. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 
Bd, 12, sowie mein Buch, Die Reichsfinanzreform S, 80 und anderwärts. 
”) Vgl. wioder moine Reichsfinanzreform $. 84 unter Anlehnung an die offiziellen Daten. 
”) Ein der grösseren Allgemeinheit vielleicht unerwartetes Ergebnis von auf diesem Gebiete gepflogenen 
Untersuchungen war (vgl. J. Wolf, Die Reichsfinanzreform $. 80 f.), dass in Deutschland — Reich, Bundes- 
staaten, Gemeinden — die Ausgaben für die innere Verwaltung und Unterricht fast dreimal 80 hoch sind wie jene 
für „Landesschutz“: 48,2%, der Gesamtausgaben gegen 17,7 %.
	        
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