K. Th. von Eheberg, Steuerreformen. 121
steuer, das anfänglich nur wenig Stimmen auf sich vereinigt hat, im Laufe der Jahre doch immer
mehr Anhänger gefunden. Allerdings haben bis heute zwei Ursachen ihre Einführung verhindert.
Die eine ist der Widerstand der Vertreter der Rentnerklasse, die in Parlament und Presse noch eine
einflussreiche Stellung einnimmt, die an der Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes inter-
essiert ist, denen der mit der Einkommensteuer verbundene Zwang zu Deklarationen ganz un-
leidlich erscheint und die sich, wie O. Schwarz zutreffend betont, darauf berufen kann, dass die
bisherige Besteuerung den Sparsinn der Bevölkerung in hervorragender Weise gefördert hat. „Denn
indem sie mehr den tatsächlichen Aufwand als die wirtschaftliche Kraft besteuert und jedes lästige
Eindringen in die Geheimnisse des Geldschrankes des einzelnen nach Möglichkeit vermeidet,
fördert sie mächtig den Spartrieb, das Anlegen der Ersparnisse in einheimischen Renten- und
sonstigen Werten und hat zweifellos sehr mit dazu beigetragen, dass Frankreich, trotzdem es nicht
entfernt auf den Aufschwung Englands, Deutschlands und Nordamerikas in den letzten Dezennien
zurückblicken kann, sich doch noch heute mit Recht als den ‚ersten Gläubiger der Welt‘ oder
doch als einen der ersten Gläubiger betrachten darf.‘ Die zweite Ursache, die der Einführung der
Einkommensteuer entgegensteht, ist der fortwährende Wechsel der Ministerien, vor allem der
Leiter des Finanzministeriums. Kein Finanzminister hat bisher Zeit gehabt, sich so einzuleben,
dass er das Projekt der Einkommensteuer durch die Klippen der parlamentarischen Beratung hätte
bindurchleiten und durch zähe Arbeit die Widerstände überwinden können, welche die politischen
Verhältnisse, die wechselnden parlamentarischen Konstellationen, die Interessenvertretungen dem
grossen Reformwerk bereiten. Es kommt dazu, dass die Wissenschaft, die in Deutschland Jahr-
zehnte hindurch die öffentliche Meinung auf die Notwendigkeit einer Umgestaltung des direkten
Steuerwesens vorbereitet hatte, in Frankreich so gut wie ganz versagte. Ob und wann unter diesen
Umständen das Einkommensteuerprojekt Caillaux’, das sich in der Hauptsache die englische Ein-
kommensteuer zum Muster genommen hat, Gesetzeskraft erlangen wird, lässt sich nicht mit Be-
stimmtheit sagen.
Das Steuerwesen Grossbritanniens vor Beginn der grossen Kriegszeit zu Ende
des 18. Jahrhunderts hat nichts Bestechendes an sich. Wie auf dem Kontinent der Absolutismus,
so legte in England die das Parlament beherrschende Aristokratie die Hauptlasten des Steuer-
bedarfs auf den Verbrauch, ohne durch die Überlastung der unteren Klassen sich im Gewissen
beschwert zu fühlen. Natürlich fehlte es nicht ganz an direkten Steuern: aber die, übrigens auch
nur zeitweise erhobenen, Kopf-, Klassen- und Standessteuern waren doch recht willkürlich und
ungleichmässig, belasteten zudem auch die kleinen Leute und wurden schon seit Anfang des 18.
Jahrhunderts nicht mehr erhoben; die Landsteuer, anfänglich eine rohe Ertragsteuer von Grund-
besitz, persönlichem Vermögen und Besoldung, wurde mehr und mehr zu einer rohen, reallastartigen
Grundsteuer; die sog. Haussteuer hatte tatsächlich den Charakter einer Wohn- und Mietsteuer;
die ausserdem vorkommenden Spezialgewerbesteuern sind nur zum Teil solche, zum Teil sind sie
Lizenzabgaben und haben als solche den gemischten Charakter von Sondergewerbe- und Aufwand-
steuern. Den Hauptertrag aber lieferten das Zollwesen mit den zahlreichen Positionen und den
hohen Sätzen und die eine grosse Menge von Gegenständen erfassenden Inlandsakzisen. So ruhte
die Hauptlast der Steuern auf den mittleren und unteren Klassen. Nur zwei Steuern trafen vor-
nehmlich die vornehmeren und wohlhabenderen Stände: die sog. Luxussteuern und die Verkehrs-
abgaben. Die Luxussteuern, in England im 18. Jahrhundert besonders stark ausgebildet, waren
aber doch sehr ungleichmässig und willkürlich und relativ wenig ergiebig; die Verkehrsabgaben
sind erst später zu nennenswerten Erträgen gesteigert worden.
Während in Frankreich, wie oben gezeigt worden ist, während der Revolutions- und Kriegs-
zeit, zum Teil unter dem Einfluss ökonomischer und demokratischer Theorien, zum Teil unter dem
Druck der Finanznot, ein Neu- und Umbau des Steuerwesens erfolgt war, versuchte man in dem
konservativen, durch keine Inlandsbewegung erschütterten und von den unmittelbaren Schrecken
des Krieges verschonten England die ins Ungemessene steigenden Lasten der Kriegszeit mittels
des überlieferten Steuersystems zu bewältigen. Neben der beispiellosen Anspannung des Staats-
kredits musste zunächst eine starke Erhöhung und Vermehrung der bestehenden Abgaben, der
Zölle, Akzisen, Luxus-, Verkehrs- und Erbschaftssteuern. Erleichterung bringen. Nur eine Steuer