124 K. Th. von Ehebery, Stenerreformen.
Zeit, in der die Wirtschaftsverhältnisse viel einfacher waren wie heute, in der Einkommen und Ver-
mögen noch in der Hauptsache auf dem Immobiliarbesitz beruhten. Heute ist sie durchaus ver-
altet und entspricht weder dem Grundsatze der Allgemeinheit noch dem der Gerechtigkeit. Sie ist
deshalb auch ungeeimnet, dem rasch und stark wachsenden Bedarfe der Lokalbehörden sich anzu-
passen. Woraus es sich dann, wenigstens zum Teil, erklärt, dass die Schulden der Kommunalkörper
in wenigen Jahrzehnten zu beträchtlicher Höhe anliefen, und dass der Staat mit Überweisungen
von Steuererträgen zu Hilfe kommen musste. In der Form solcher Überweisungen oder Dotationen
tragen dann allerdings auch Vermögensbesitz und Gewerbebetrieb zur Deckung des Kommunal-
bedarfes bei; da aber auch und zwar in noch höherem Masse Zölle und Verbrauchssteuern an jenen
beteiligt sind, so fehlt es an einem entsprechenden Ausgleich.
Kaum irgendwo hat sich der Umgestaltungs- und Konsolidierungsprozess im Steuerwesen
unter solchen Schwierigkeiten vollzogen wie in Deutschland.
Das Steuerwesen der deutschen Staaten zu Ende des 18. Jahrhunderts ist so
verwickelt und buntartig, dass es mit wenigen Worten nicht beschrieben werden kann. Nicht nur
unterscheiden sich die einzelnen Staaten wesentlich von einander je nach ihrer historischen Ent-
wickelung, ihren wirtschaftlichen Verhältnissen, dem grösseren oder geringeren Einfluss der Stände
auf das Finanzwesen, sondern es fehlt auch innerhalb desselben Staates nicht an zahlreichen pro-
vinziellen und territorialen Verschiedenheiten. Nirgends weist das Steuerwesen einen auch nur
halbwegs befriedigenden Zustand auf. Weder der Grundsatz der Allgemeinheit war verwirklicht,
denn die Privilegien des Adels, der Beamtenschaft usw. bestanden vielerorts fort, noch der Grund-
satz der Gerechtigkeit, denn die Steuerlast lag ganz überwiegend auf den unteren und mittleren
Klassen. Ob die deutschen Staaten von sich aus, ohne äusseren Anstoss, bald zu einer Umge-
staltung ihres Steuerwesens gelangt wären, ist heute eine umso müssigere Frage, als die geschicht-
lichen Ereignisse zu Anfang des vorigen Jahrhunderts mit gebieterischer Gewalt diese Umgestaltung
tatsächlich erzwangen. Es geschah dies zum Teil noch während der grossen Kriegszeit, zum grösseren
Teil aber nach deren Beendigung.
Am schwersten wohl von allen deutschen Staaten war Preussen durch die napoleonischen
Kriege betroffen. Die finanziellen Lasten, die es in Form von Kriegsrüstungen, Kontributionen
usw. zu tragen hatte, waren ungeheuer. Nur mittels höchster Ausnutzung des Kredits, durch Aus-
gabe von Papiergeld und schwersten Steuerdruck gelang es, den finanziellen Zusammenbruch zu
vermeiden. Dass im Steuerwesen zunächst nur die Rücksicht auf die Deckung des Bedarfes mass-
gebend war, ist natürlich. Allerdings hatte man schon während der Kriegszeit erkannt, dass eine
Neugestaltung des Steuerwesens unerlässlich sei. Das Finanzedikt vom 27. Oktober 1810 hatte als
leitende Gesichtspunkte eines neuen Steuersystems verkündet: Tragung der Abgaben nach gleichen
Grundsätzen von jedermann im Staate, Vereinfachung der Abgaben und ihrer Erhebung, nament-
lich eine gleiche und verhältnismässige Verteilung der Grundsteuer auf alle Pflichtigen mittels
eines neuen Katasters. Aber die Fortdauer des Kriegszustandes und der finanziellen Not ver-
hinderten zunächst eine Verwirklichung dieser Grundsätze. Das Edikt vom 7. September 1811 hielt
an der steuerlichen Scheidung von Stadt und Land fest: die grösseren Städte hatten die alten Ak-
zisen, Aufschläge auf alle möglichen Waren, und einige neue Verbrauchsabgaben zu entrichten,
das platte Land und die kleineren Städte wurden zwar von der Mahlsteuer befreit und in anderen
Verbrauchssteuern erleichtert, dagegen mit einer neuen Personalabgabe (1, Taler von jeder über
16 Jahre alten männlichen Person) getroffen; daneben blieb die alte Grundsteuer und ebenso das
Salzregal bestehen. Neu war die Gewerbesteuer von 1810, eine Folge der neuen Gewerbeverfassung,
die als rohe Klassensteuer nach äussern Merkmalen erhoben wurde. Im gleichen Jahre wurde die
Stempelsteuer erweitert und erhöht. Einige Versuche mit Vermögens- und Einkommensteuern
führten nicht zum Ziele.
Eine für drei Jahrzehnte und zum Teil darüber hinaus die Richtung gebende Reform er-
folgte nach Abschluss der Kriege in den Jahren 1820—22. Die Veranlassung lag unter anderm in
der Notwendigkeit, die Verschiedenartigkeit der Steuerverfassungen in den alten und den neu
erworbenen Landesteilen nach Möglichkeit zu vereinfachen. Das wichtigste war die Umbildung
der Personalsteuer auf dem Lande und in den kleineren Städten in eine nach ständischen Gesichts-