Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

K. Th. von Eheberg, Steuerreformen. 125 
punkten abgestufte Klassensteuer und die Ersetzung der alten Akzise in den grösseren Städten 
durch die Mahl- und Schlachtsteuer. Der Klassenschematismus der Gewerbesteuer wurde etwas 
feiner ausgestaltet, das Stempel- und Registerwesen und die Salzsteuer im ganzen Lande einheit- 
lich geordnet, die Tabak-, Bier-, Branntwein- und Weinsteuer neu geregelt. Die Grundsteuer da- 
gegen blieb in dem alten Zustande provinzieller Verschiedenheit. Wenn auch Besserungen im 
einzelnen unverkennbar sind, so hafteten dem Reformwerk doch schwere Gebrechen an: durch die 
verschiedene steuerliche Behandlung von Stadt und Land verzichtete man von vornherein auf eine 
wahre Gleichmässigkeit in der Besteuerung; die Klassensteuer drückte schwer auf die untern Klassen, 
während sie die Vermöglicheren stark begünstigte; der Grossgrundbesitz war so gut wie steuer- 
frei; die Verbindung der Gebäudesteuer mit der Grundsteuer und die provinziellen Verschieden- 
heiten im Grundsteuerwesen waren weitere Mängel. Wenn dieses Steuerwesen bis 1851 in Bestand 
bleiben konnte, so war dies nur dem Umstande zuzuschreiben, dass infolge des Rückganges der Aus- 
gaben und des allmählichen Aufschwunges des Wirtschaftslebens die Steuerlasten sich in mässigen 
Grenzen hielten. 
Die revolutionäre Bewegung von 1848 brachte die Steuerreform neuerdings in Fluss. Es 
wurde gesetzlich bestimmt, dass die Steuergesetzgebung einer Revision unterstellt, alle Bevorzu- 
gungen abgeschafft, neue nicht mehr eingeführt werden sollten. Durch Gesetz vom 1. Mai 1851 
e die Klassensteuer durch die Klassen- und klassifizierte Einkommensteuer ersetzt und der 
letzteren alles Einkommen von mehr als 1000 Talern unterworfen. Man war damit dem Prinzip 
der Einkommensteuer näher gekommen und traf das höhere Einkommen aus Gewerbe- und 
Immobilienbesitz, dem fundierten Charakter dieses Einkommens entsprechend, doppelt. Ein 
Mangel blieb die unzureichende Erfassung der Kapitalrente und die ungenügende Veranlagung. 
Im Jahre 1861 kam nach langer Verzögerung auch die Neuregelung der Grundsteuer und die Ver- 
selbständigung der Gebäudesteuer zustande. An der Gewerbe-, der Stempel- und Erbschafts- 
steuer wurden Änderungen vorgenommen, eine Eisenbahn- und Bergwerksteuer neu eingeführt. 
Vergleicht man die Jahre 1850 und 1861 mit einander, so hat sich eine nur unbedeutende Ver- 
schiebung in der Verteilung der Steuerlast zwischen den Erwerbs- und Besitzsteuern einerseits, den 
Verbrauchssteuern und Zöllen andererseits zugunsten der ersteren vollzogen. Während nämlich 
1850 die ersteren etwa 4,60, die letzteren 4,39 Mk. auf den Kopf der Bevölkerung betrugen, sind es 
im Jahre 1861 5,50 und 6,06 Mk. gewesen. Immerhin ist das Ergebnis in diesem Sinne erheblich 
günstiger als die Steuerausteilung in dem Frankreich und England jener Zeit. 
Aber auch nach der eben erwähnten Regelung war die Klassen- und klassifizierte Einkommen- 
steuer, die sich immer mehr zur beherrschenden direkten Steuer entwickelte, recht unvollkommen. 
Das Fehlen einer Untergrenze bei der Klassensteuer, die Festsetzung einer Obergrenze bei der Ein- 
kommensteuer bewirkte dort starke Härten, hier unberechtigte Vergünstigungen. Der Unterschied 
von Klassen- und Einkommensteuer war überhaupt nicht mehr haltbar; auch die Abgrenzung der 
einzelnen Stufen entsprach den Verhältnissen nicht mehr. Die Steuerreform vom 25. Mai 1873 
hielt zwar an der Zweiteilung der Steuer noch fest, vermehrte aber die Zahl der Steuerstufen, hob 
die obere Grenze auf und bestimmte als Untergrenze ein Einkommen von 140 Talern. Auch wurden 
die Steuersätze in den 12 Stufen der Klassensteuer degressiv gestaltet, während sie bei der Ein- 
kommensteuer prozentual blieben; bei den beiden untersten Stufen durften bereits damals besondere 
die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde Umstände im Ausmasse der Steuer berück- 
sichtigt werden. Die Mahl- und Schlachtsteuer wurde als Staatssteuer aufgehoben und durch die 
Klassensteuer ersetzt. War die Befreiung der kleinsten Einkommen bei dieser Reform mehr aus 
steuerpolitischen Erwägungen gewährt worden, nämlich um die lästige und kostspielige Erhebung 
bei den zahlreichen kleinen Leuten zu beseitigen, so geschalı die Erhöhung des Existenzminimums 
im Jahre 1883 auf 900 Mk. und die Ermässigung einzelner Sätze der Klassensteuer und der unteren 
Stufen der Einkommensteuer doch schon unter dem Antrieb sozialpolitischer Rücksichten, für 
welche die deutsche Wissenschaft seit den 1870er Jahren einzutreten begonnen hatte. 
Eine grundlegende Umgestaltung des direkten Steuerwesens brachten die Jahre 1891 und 
1893. Das Gesetz vom 24. Juni 1891 hob die längst unhaltbar gewordene Scheidung zwischen der 
Klassen- und der klassifizierten Einkommensteuer auf und schuf an deren Stelle eine einheitliche
	        
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