126 R. Th. von Eheberg, Stenerreformen.
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allgemeine Einkommensteuer; an Stelle der mit vielen Unzuträglichkeiten verbundenen Steuer-
einschätzung trat der Deklarationszwang; neben den physischen Personen wurde auch das Einkom-
men der wichtigsten juristischen der Besteuerung unterworfen. Das Existenzminimum blieb das
gleiche wie bisher, aber die Steuersätze stiegen viel langsamer, erreichten erst bei 10 000 Mk. 3 %
(bisher schon bei 3000 Mk.), bei 100 000 Mk. 4 %, und aussergewöhnliche Belastungen des Steuer-
pflichtigen, besonders durch Unterhalt und Erziehung der Kinder, fanden in Ermässigung der
Steuer entsprechende Berücksichtigung. So trug die preussische Finanzverwaltung unter Miquel
den Forderungen der Theorie Rechnung, die sich immer entschiedener für progressive Besteuerung
und Schonung der minder bemittelten Klassen aussprach. Durch Gesetz vom gleichen Datum
wurde auch die veraltete Gewerbesteuer (mit Ausnahme der Wandergewerbesteuer) auf eine neue
Grundlage gestellt, indem sie auch formell in eine Ertragsteuer in vier Abteilungen nach der Grösse
des Ertrages und des in einer Unternehmung investierten Kapitals ausgestaltet wurde. Eine be-
sondere Steuer wurde daneben für den Betrieb der Schank- und Gastwirtschaft und des Kleinhandels
mit Branntwein und Spiritus eingeführt. Schon längere Zeit hat die Wissenschaft auf die höhere
Leistungsfähigkeit des fundierten Einkommens gegenüb.r dem nichtfundirten hingewiesen und
die Berücksichtigung dieser Tatsache auch im Steuerwesen verlangt. Das Ergän-ungssteuergesetz
vom 14. Juli 1893 trug dieser Forderung Rechnung, indem es neben die Einkomm nsteuer eine
mässige prozentuale Vermögenssteuer für alle Vermögen imWerte von mehr als 6000 bezw. 20000 Mk.
setzte. Die dem Staate durch die Neugestaltung des Struerwesens in Aussicht gest: lIlten Mehr-
erträge gaben dann die Möglichkeit auf die bisherigen Ertragsteuern, di» Grund-, G bände- und
Gewerbesteuer, zu verzichten und diese den Gemeinden zu überweisen. Damit ist das Staatssteuer-
wesen Preussens auf die einfachste Formel gebracht und das steuerrechtliche Verhältnis zwischen
Staat und Gemeinde in passender Weise geregelt worden. Der Staat schöpft seinen Steuerbedarf
aus der Personalbesteuerung, den Gemeinden stehen in erster Linie die für sie jedenfalls nicht
ungeeigneten Realsteuern zur Verfügung. Die kleineren Reformen der Einkommen- und Ver-
mögenssteuer sowie des Kommunalabgabengesetzes in den Jahren 1906 und 1909 dürfen hier, da
sie nichts grundsätzlich Neues brachten, übergangen werden,
Es würde zu weit führen, hier auch des Entwickelungsprozesses zu gedenken, der im Steuer-
wesen der übrigen deutschen Staaten während des 19. Jahrhunderts sich vollzogen hat. Wir be-
gnügen uns, kurz dessen Ergebnisse zusammenzufassen.
In denjenigen Staaten, welche, wie Bavern und Württemberg, mit einem reichen Zuwachs an
Staatsgebiet aus der napoleonischen Kriegszeit hervorgingen, war die erste Sorge der Regierung
zunächst darauf gerichtet, grössere Einheit in das Steuerwesen zu bringen. Das führte dann von
selbst zu neugestaltenden Reformen, die im Süden Deutschlands, unter dem Einfluss des franzö-
sischen Beispiels, mit dem Siege des Ertragssteuersystems endeten. Bayern hat sich in den 20er
Jahren des 19. Jahrhunderts für dieses System entschieden, es aber erst in den 50er Jahren rein und
lückenlos durchgeführt. Im Jahre 1881 erfolgte, nachdem der Versuch mit einer ergänzenden all-
gemeinen Einkommensteuer gescheitert war, eine Revision des Steuerwesens, die aber nur bei der
Gewerbesteuer tiefer eingriff, indem bier an Stelle der Steuerbemessung nach äusseren Merkmalen
in zahlreichen Fällen die nach dem wirklichen Ertrage trat. Durch vollen Abzug der Schuldzinsen
bei der Kapitalrentensteuer und teilweisen bei der Gewerbe- und sog. Einkommensteuer, durch
Steuerbefreiungen und progressive Steuersätze wurde dieses Ertragsteuersystem dem Prinzip der
Einkommenbesteuerung näher gebracht. Auch der Forderung, die fundierten Einkommensbezüge
höher zu belasten als die unfundierten, wurde durch mildere Behandlung der Löhne und Gehälter
in etwas Rechnung getragen. Die Gesetzgebung vom 6. Juni 1899 schritt auf dem betretenen Wege
weiter und förderte das Einkommensteuerprinzip noch weiter durch feinere Ausgestaltung der Be-
steuerung und stärkere Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit. Durch das Reform-
werk vom 14. August 1910 hat Bayern die allgemeine Einkommensteuer, im wesentlichen nach
preussischem Muster, jedoch mit erheblich niedrigerem Existenzminimum und einer Progression
bis zu 5 % (bei mehr als 300 000 Mk.), zur Einführung gebracht. Die Mehrbelastung des fundierten
Einkommens crfolgt durch die Ertragsteuern vom Grund-, Gebäude-, Gewerbe- und Kapitalertrag,
die aber in ihren Sätzen erniedrigt und teilweise (Gewerbesteuer) erheblich umgestaltet wurden.