K. Th. von Eheberg, Steuerreformen. 131
der bürgerlichen Nationalökonomen Verständnis und Vertretung fand, musste am ersten da nach
Geltung ringen, wo der Staat mit diesem Problem in Berührung trat. In dem auf dem Individualis-
mus beruhenden privaten Wirtschaftsleben stehen der Verwirklichung der austeilenden Gerechtig-
keit unüberwindliche Hindernisse der verschiedensten Art entgegen. Bei den Beziehungen der
Einzelnen zum Staate dagegen können die Forderungen gerechter und gleichmässiger Behandlung
am ehesten Verwirklichung finden. Wann aber ist die Besteuerung gerecht und gleichmässig? Die
Antwort lautete bekanntlich verschieden je nach den herrschenden Anschauungen von den Aufgaben
des Staates und der Stellung des Einzelnen zum Staate. Ernsthaft können nur zwei Theorien
in Betracht kommen: die eine, welche die Steuer als ein Äquivalent für die dem einzelnen durch den
Staat geleisteten Dienste ansieht, die andere, die sie nur nach der wirtschaftlichen Leistungsfähig-
keit bemessen haben will. Die erste beherrschte die liberalistische Periode der Volkswirtschaftslehre.
Sie steht im Zusammenhange mit der Lehre von der Beschränkung der Staatstätigkeit und ist auch
nur in diesem Zusammenhange halbwegs verständlich. So verlangte Bastiat, ein Anhänger dieser
Lehre, in einer Rede in der gesetzgebenden Versammlung von 1849, dass der Staat mit jedem
Bürger auf dem Steuerzettel abrechnen und genau ausschlagen solle, wie viel Steuer für die Polizei,
wie viel für Rechtspflege, wie viel für diese und jene kriegerische Unternehmung zu entrichten sei —
so wie wir heute etwa gesonderte Zettel für Brandversicherung oder Wasserzins oder Kehrichtab-
fuhr und dergl. erhalten. Allein dieser Gedanke entspringt einer ganz privatwirtschaftlichen Auf-
fassung. Er ist weder im Prinzip berechtigt noch praktisch durchführbar und erscheint als völlig
sinnlos, wenn der Aufgabenkreis des Staates einen solchen Umfang erreicht hat wie in der Gegen-
wart. Solche Kollektivausgaben entziehen sich einer rechnerischen Verteilung auf die einzelnen
Bürger, und es ist deshalb auch ein Ding der Unmöglichkeit, die Steuerleistung der einzelnen mit
ihrem persönlichen Interesse an den staatlichen Kollektivleistungen in Verhältnis setzen zu wollen.
Es ist nicht überflüssig, dies auch heute noch zu betonen. Im Reichstag und bei der Reichsregierung
ist der Gedanke, bei der Besteuerung die Bemessung nach den Vorteilen vorzunehmen, wiederholt
aufgetaucht und zur praktischen Verwirklichung gebracht worden. Es sei daran erinnert, dass bei
Gelegenheit der Flottenvorlage vom Jahre 1900 der Satz ausgesprochen und in der Erhöhung der
Verkehrssteuern auch zur Geltung gebracht wurde, dass die Mehrung der Flotte in erster Linie
dem Handel und der Industrie zugute käme und deshalb durch Steuern bestritten werden müsse,
die an diese Kreisesich hielten. Die Reichszuwachssteuer ist mit der Motivierung begründet worden,
dass die Werterhöhungen der Grundstücke in erster Linie dem Aufblühen der deutschen Volks-
wirtschaft durch die Existenz und die Veranstaltungen des Reiches zu dankensei. Allein in beiden
Fällen kann die Begründung nicht als stichhaltig angesehen werden; denn hier wie dort fehlt esan
dem Nachweise, dass die im allgemeinen Interesse, ohne Beziehung zu einem bestimmten Personen-
kreise unternommenen Veranstaltungen des Reiches gerade den Handeltreibenden oder Grund-
besitzern allein oder auch nur vorwiegend zu gute gekommen seien. Die Schaffung einer
tüchtigen Flotte soll doch der Wahrung des Friedens und der nationalen Unabhängigkeit
und der Vertretung aller politischen und wirtschaftlichen Interessen im Auslande dienen;
ihr Nutzen wird jedem Reichsdeutschen zugute kommen. Noch bedenklicher ist die Be-
gründung der Reichszuwachssteuer. Hier fehlt es an jedem erkennbaren Zusammenhang
zwischen bestimmten Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln und der Grundwertsteigerung.
Mit einer Begründung, wie sie der Reichszuwachssteuer gegeben worden ist, kann man
jede Sondersteuer auf Erwerbsberufe begründen, die seit der Errichtung des Reiches sich
im Aufblühen befinden. Es wird gut sein auf dem betretenen Weg, der zur alten Interessen-
theorie zurückführen würde, nicht weiter zu schreiten. Man hat diese seinerzeit mit Recht ver-
lassen, weil sie ungerecht und praktisch undurchführbar ist; denn es fehlt an jeder Möglichkeit,
dem einzelnen den Wertanteil zuzumessen, den die Befriedigung kollektiver Bedürfnisse für ihn
hat, und darnach die Steuern zu bestimmen. Unabsehbare Interessenkämpfe der einzelnen Klassen
und Berufsgruppen gegeneinander um die Austeilung der Steuerlast würden die Folge einer er-
weiterten Anwendung des Interessenprinzipes sein. Man überlasse dieses den Gemeinden oder
beschränke seine Anwendung auf diejenigen Fälle, in denen der Zusammenhang zwischen staat-
licher Leistung und privatem Interesse ein sinnfälliger und nachweisbarer ist. Es ist möglich, dass
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