6 Georg v. Below, Deutschkonservative und Reichspartei.
Hauptratgeber und schloss sich als Reichstagsabgeordneter der deutschen Reichspartei, also der
spezifischen Partei Bismarcks, an.®)
Wenden wir uns nunmehr zu einer systematischen Betrachtung des konservativen Programms,
wie es sich seit der Zeit der Sozial- und Wirtschaftspolitik Bismarcks gestaltet hat. Wir schicken
voraus, dass das Programm der Diutschkonservativen von 1876 im Dezb. 1892 in dem „Tivoli-
Programm“ wesentlich nach jener Richtung hin vervollständigt und umgestaltet wurde. Zwischen
den Konservativen und den Freikonservativen hat die stärkste Spannung in der Zeit des Kultur-
kampfs bestanden. Seit dem Beginn der Ara der Wirtschaftspolitik Bismarcks sind beide, mit
manchem Wechsel im einzelnen, einander näher gekommen.
Wie schon bemerkt, stellten sich die Konservativen durchaus auf den Boden des neuen
Deutschen Reichs. Ihre Auffassung von dem Verhältnis des Reichs zu den Einzelstaaten ist in dem
Programm von 1876 formuliert. Die nationale Idee ist für sie zu einer Grundlage ihrer politischen
Haltung geworden ;®) sie betrachten die politischen Dinge wesentlich unter dem nationalen Gesichts-
punkt. Selbstverständlich treten auch noch andere Motive hinzu: bei der Inaugurierung der Sozial-
politik z. B. waren religiöse Motive mit wirksam. Aber der nationale Gedanke wird überall in den
Vordergrund gestellt. Hiernach steht es von vornherein fest, dass alle partikularistischen Tendenzen
aus den heutigen konservativen Kreisen verbannt sind. Die sächsischen Konservativen z. B. wissen
heute nichts mehr vom Partikularismus. Die Partei verlangt nicht den Einheitsstaat und fordert
Achtung der Einrichtungen der Einzelstaaten aus grundsätzlicher Pietät gegen das historisch
Überlieferte. Allein es wird sich nicht nachweisen lassen, dass die Konservativen irgendwo die freie
Bewegung des Reichs hindern, wo das nationale Interesse sie heischt.
In der inneren Verfassung des Reichs und der Einzelstaaten legen die Konservativen ent-
scheidendes Gewicht auf die monarchischen Grundlagen unseres Staatswesens und auf eine kräftige
obrigkeitliche Gewalt. Sie treten für das „Königtum von Gottes Gnaden“ ein: mit dieser Formel
wird der Gedanke ausgedrückt, dass die Krone nicht auf einer Übertragung durch das Volk, sondern
auf eigenem historischen Recht der Dynastie beruht.*) Wenn die Konservativen hiermit die Idee
der Volkssouveränität ablehnen, so halten sie andererseits, wie schon angedeutet, an der ver-
fassungsmässigen Beschränkung der Monarchie durchaus fest. Aber es ist die bestehende konsti-
tutionelle Monarchie, welche sie verteidigen. Das parlamentarische Regiment verwerfen sie, weil
es den bestehenden Verfassungen nicht entspricht, mit den Verhältnissen unseres Bundesstaats
ebensowenig wie mit unserem Parteiwesen vereinbar ist und eine Verschlechterung der allgemeinen
politischen Situation bedeuten würde. In der konstitutionellen Monarchie wird den Parteien ein
Einfluss eingeräumt, ihre Herrschaft aber ausgeschlossen.
Die Frage des Wahlrechts für die parlamentarischen Körperschaften ist erst in neuerer Zeit
Gegenstand eifrigerer Diskussion geworden. Lange fanden sich Liberale und Fortschrittler von dem
beschränkten Wahlrecht, das für die Landtage bestand, befriedigt. Die Einführung des allgemeinen,
%a) \Vie Bismarck durch seine Wirtschaftspolitik auch im süddeutschen volksparteilichen Lager Anhänger
gewann, darüber s. ein interessan es Beispiel bei Rapp a. a. O. S. 21.
®b) Hiermit orgibt sich ohne weiteres die Haltung der Konservativen in der polnischen Frage und in der
von Elsass-Lothringen, worauf wir des uns zur Verfügung stehenden knappen Raumes wegen nur kurz hinweisen,
Über die Stellung der Konservativen zur J udenfrage handelt der Art. „Antisemitismus“ in dem „Konservativen
Handbuch“ S, 16 ff. Daselbst ist S. 17 Anm. 1 bemerkt, dass die freikonservative Partei mit der deutschkonser-
vativen „in der Beurteilung des Einflusses des Judentums im allgemeinen ziemlich übereinstimmt“, jedoch „der
politischen Inangriffnahme der Judenfrage weniger geneigt ist“ und über das allmähliche Aufgehen der Juden im
Deutschtum optimistischer denkt. Scharfe Unterschiede lassen sich hier kaum aufstellen; die einzelnen Abge-
ordneten nelımen auch eine stark abweichende Stellung ein. Im Verhältnis zu den reinen Antisemiten dürfte die
Hultung der Kon orvativen etwa dahin zu be immen sein, dass bei ihnen die Ablehnung des Judentums u. a.
durch das rolikiöso Moment und durch den Gedanken an d’e staatlichen Notwendigkeiten gemildert wird. Als
Mittel zur Bekämpfung des übermissigen Einflusses des Judentums wird in dem „Konservativen Handbuch“
S. 22 in erster Linie die Beschränkung des Zuzugs ausländischer Juden empfohlen.
*) Vgl. hierüber und über die staaterechtliche Auffassung der Konservativen überhaupt die Darlegungen
von Otto Hintze, Das monerchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, Preussische Jahrbücher Bd. 144.