Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

K. Th. von Eheberg, Steuerreformen. 133 
angehörigen grösser ist. Der Steuerpflichtige mit grösserer Familie müsste dann seinen Verbrauch 
erheblich einschränken, um die Steuer entrichten zu können, während der andere, der keine 
Familie hat, noch sog. Anstands- oder Luxusbedürfnisse befriedigen könne. Positiv ausgedrückt 
wird also hier eine Besteuerung des sog. freien Einkommens verlangt, d.h. desjenigen Einkommens, 
das nach Abzug des notwendigen Unterbaltes des Steuerpflichtigen und seiner von ihm zu unter- 
haltenden Familienangehörigen übrig bleibt. 
Die Idee knüpft an ältere Lehren an; man hat auch die Steuerprogreseion mit der Opfer- 
theorie zu begründen gesucht. Der Gedanke ist auch an sich nicht unrichtig; schon bei den alten Jung- 
gesellensteuern und bei der erst kürzlich in Reuss zur Einführung gebrachten spielt die Erwägung 
herein, dass der Junggeselle, der sich von den Lasten eines Familienhaushaltes frei weiss, in der Lage 
sei, dem Staate mehr Steuern zu bezahlen als der Familienvater. Aber an der praktischen Durch- 
führung des Gedankens wird man füglich zweifeln dürfen. Natürlich würde eine nach dem „Über- 
flusse‘‘ bemessene Steuer genaue Massangaben über den Verbrauch voraussetzen. Ist schon die 
Deklarierung des Einkommens mit vielen Unzuträglichkeiten und Belästigungen des Steuerzahlers 
verbunden, so würden diese bei Massangaben über den Verbrauch sich ins Ungeheuerliche vermehren. 
Ohne eingehende Kontrollen wären solche Angaben unbrauchbar; aber solche Kontrollen würden 
einen kaum zu ertragenden Eingriff in die rein private Sphäre des Haushaltes bedeuten. Wollte 
man sich aber mit einer amtlichen Feststellung des durchschnittlichen „notwendigen Verbrauchs“ 
unter Berücksichtigung der Zabl der Familienangehörigen begnügen, so wäre bei der grossen Dehn- 
barkeit des Begriffes „notwendiger Verbrauch“ bei dem verschiedenen Verhalten der Einzelnen 
selbst gegenüber den elementaren Bedürfnissen des Essens, Trinkens und Wohnens, bei der erheb- 
lichen örtlichen Verschiedenheit der Preise usw. zu befürchten, dass die Ungleichheiten in der Be- 
steuerung eher zu- als abnehmen würden. Die positive Grösse des Einkommens bezw. des Ver- 
mögens wird nach wie vor ein besserer, weil objektiv feststellbarer Massstab der Besteuerung sein 
als die unsichere Grösse des Verbrauches. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die Grösse 
der Verbrauchsbelastung, von der gleich die Rede sein wird, sich in einem rationellen Verhältnis zur 
Grösse des Einkommens, bezw. zur Gesamtbesteuerung zu bewegen habe. 
Wir sind also der Meinung, dass es wie bisher so auch in Zukunft Aufgabe und Ziel der Steuer- 
politik sein müsse, die Besteuerung der Leistungsfähigkeit möglichst anzupassen und dass dies am 
besten durch Steuern geschehe, die im Prinzipe nach der Grösse und Art des Einkommens bemessen 
sind. Wie diese Steuern im einzelnen beschaffen und geartet sein sollen und welche Ausnahmen 
von diesem Prinzip gemacht werden mögen, davon wird nachher noch die Rede sein. Nun lehrt 
aber die Erfahrung, dass kein Staat der Welt, welche Wirtschaftsstufe und Verfassungsform immer 
er aufweisen mag, seinen Staatsbedarf allein durch Steuern von Einkommen und Besitz zu decken 
vermag und kein Theoretiker und keine politische Partei, mit Ausnahme der Sozialdemokratie, 
hat die Verbrauc’' sbesteuerung grundsätzlich verworfen. Man kann sich doch auch der Tatsache 
nicht verschliessen, dass Verbrauchssteuern die mildeste Form der Besteuerung der unteren Klassen 
sind, in der sie in kleinsten Beträgen der auch ihnen obliegenden Pflicht zu Leistungen an den Staat 
genügen können. Der oft gehörte Einwand, dass durch diese Besteuerung die unteren Klassen im 
Unklaren gelassen würden über die Grösse ihrer Leistungen, ist heute angesichts der Aufklärungs- 
arbeit ihrer Vertreter und der sozialpolitischen Steuertheoretiker hinfällig. Dass, wie wir wissen, 
jedesmal, wenn eine Verbrauchssteuer in Vorschlag gebracht wird, heftige Kämpfe entbrennen, ist 
richtig; aber bei diesen bandelt es sich doch mehr um die Frage der Ausdehnung der bereits be- 
stehenden Verbrauchssteuern, um die Steuerform, um die Höhe der Steuer, um das Belastungs- 
verhältnis, um Rücksichtnahmen auf die Produzenten und Händler als um eine völlige Negation der 
Berechtigung der Verbrauchsbesteuerung an sich. Es darf dabei auch nicht verkannt werden, dass 
die Entwickelung, die das Steuerwesen der Kulturstaaten genommen hat, viele Missstände im Ver- 
brauchssteuerwesen beseitigt oder gemildert hat und dass die Hoffnung als nicht unbegründet er- 
scheint, dass die Zukunft weitere Verbesserungen bringen werde. Kein Parlament und keine Re- 
gierung würde heute mehr wagen, inländische Steuern auf Brot und Fleisch zu legen ; wo die Kommu- 
nen im deutschen Reich ein solches Recht bis in die neueste Zeit besassen, hat die Reichsgesetz- 
gebung es beseitigt. Sicher bestehen auch heute noch erhebliche Mängel im Verbrauchssteuerwesen.
	        
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