134 K. Th. von Eheberg, Steuerreformen.
Vom Standpunkte der Steuerpolitik aus sind auch Lebensmittelzölle zu beanstanden; denn diese
wirken nicht nur durch die Verteuerung der aus dem Auslande eingeführten Mengen sondern noch
mehr durch Erhöhung der Preise der gleicharticen Inlandsprodukte und sie belasten die grosse
Volksmasse empfindlich. Bei Errichtung von Schutzzöllen auf Lebensmitteln und namentlich bei
starker Erhöbung von solchen werden deshalb die gesetzgebenden Faktoren immer die Frage auf
das ernsthafteste zu prüfen haben, ob der Vorteil, den der Schutzzoll einer Klasse von Produzenten
gewährt, gross genug ist, um die Lasten zu rechtfertigen, die damit den Konsumenten, und zwar
den unbemittelten in weit höherem Masse als den bemittelten, zugemutet werden. Der Trost der
Abwälzung, der den betroffenen Kreisen gegeben zu werden pflegt, ist, wie nachher noch zu zeigen
sein wird, wenig überzeugend. Abgesehen von den Getreide- und Viehzöllen ist als kopfsteuerartige
Abgabe im deutschen Reiche wie in anderen Staaten nur mehr die Salzsteuer vorhanden. Es ist
zuzugeben, dass ihre Beseitigung erwünscht wäre. Immerhin darf gegenüber den, namentlich in
früherer Zeit, oft mit Leidenschaft und nicht ohne Übertreibung geführten Kämpfen hervorge-
boben werden, dass sie heute ungleich milder wie früber und der Wert des Steuergegenstandes an
sich ein minimaler ist. Zudem lassen die bei der jüngsten Aufhebung der gemeindlichen Aufschläge
auf Getreide und Fleisch gemachten Erfahrungen die Befürchtung begründet erscheinen, ob ihre
Aufhebung wirklich den Konsumenten im vollen Umfange zugute käme. Im übrigen erstreckt sich
die inländische Verbrauchsb ‚steuerung doch zum weitaus grössten Teile auf Genuss- und Reiz-
mittel, deren der Einzelne ohne Schaden, ja oft zum Nutzen seiner Gesundheit entraten kann. Dass
trotz starker und nicht selten steigender Besteuerung der Konsum von Alkohol, Tabak, Zucker
usw. stark zunimmt, ist doch ein Zeichen einer bis in die unteren Klassen herabsteigenden
Erhöhung der Lebenshaltung. Bemerkenswert sind die Versuche, den Gedanken der Steuerpro-
greesion, der im direkten Steuerwesen immer mehr zum Siege gelangt, auch bei den Verbrauchs-
etcuern durch Anpassung der Sätze an die Qualität der besteuerten Objekte zu verwirklichen. Die
Tabakwert- und die Zigarettensteuer des Reichs sind dafür ein Beweis. Jedenfalls zeigt die Ent-
wickelung des Verbrauchssteuerwesens in den letzten Jahrzehnten, in England allerdings mehr als bei
uns, dass man auch hier sozialen Erwägungen zugänglich ist und den Einwendungen gegen ihre Mängel
gerecht zu werden sucht. Die Theorie hat dieser Auffassung schon seit langem vorgearbeitet. Sie
bat sich die Unentbehrlichkeit der Verbrauchssteuern nicht verbehlt, aber ebensowenig deren be-
denkliche Wirkungen auf eine relative Überlastung der unteren Klassen. Sie hat deshalb stets
auf eine Ausgleichung durch passende direkte Steuern auf Erwerb, Einkommen und Vermögen,
in erster Linie durch Einkommen- und Vermögenssteuern, dann aber auch durch Erbschafts-,
Besitzwechsel-, Wertzuwachs-, Börsensteuern u. dergl. und vor allem durch weitgehende Steuer-
befreiungen und -erleichterungen der unteren Klassen bei den Einkommens- und Erwerbssteuern
hingewiesen. Und die Gesetzgebung hat sich in England, Deutschland, selbst in Frankreich diesem
Standpunkte doch mehr und mehr genähert. Auch darf nicht übersehen werden, dass die Ver-
brauchssteuern doch auch die vermöglicheren Klassen neben den Einkommens- und Besitzsteuern
mit belasten und zwar um so mehr, je mehr sie sich auf Genuss- und Reizmittel beschränken und
nach Qualitätsunterschicden abgestuft sind. Wie gross der Anteil der einen und der anderen Schicht
an der Gesamtbelastung ist, lässt sich freilich nicht genau nachweisen. Wittschewsky nimmt an,
dass im deutschen Reich von den Zöllen auf die Unterschicht mit einem Einkommen bis 1500 M.
60,8 %, auf die Oberschicht 39,2 %,, oder 6,6 und 12,8 M. pro Kopf, von den Verbrauchssteuern
64,9 bezw. 35,1 %, und in Kopfbeträgen 9 und 14,6 M. entfallen. Aber abgesehen von manchen
anderen Bedenken, die gegen die Berechnung dieser Zahlen erhoben werden können, ist vor allem
auf das eine hinzuweisen, dass, wie Wittschewsky selbst bemerkt, die Hauptmasse auch der Ver-
braucher der von ihm sogenannten Oberschicht wegen ihres geringen Einkommens der Unterschicht
schr nahe steht. Es kann deshalb die von ihm vorgenommene Austeilung nicht als überzeugend
angesehen werden.
Für das deutsche Reich dorf bei Beurteilung der Belastungsverhältnisse natürlich nicht
ausser acht gelassen werden, dass Reich und Bundesstaaten, einschliesslich der Selbstverwaltungs-
körper, wie in bezug auf Politik und Kultur, so auch in finanzieller Beziehung eine Einheit bilden.
Es ist nicht angängis, «lie Steuern des Reiches für sich zu betrachten und zu beurteilen, man wird