K. Th. von Eheberg, Steuerreformen. 135
sie nur im Zusammenhange des grossen Ganzen auf ihre Wirkung prüfen dürfen. Eine Steuer des
Reiches, die für sich allein betrachtet die Kritik zu berechtigtem Widerstande herausfordert,
kann gleichwohl zulässig sein als Glied der Gesamtbesteuerung, wenn ihre Wirkungen durch Steuern
der Einzelstaaten ausgeglichen oder abgeschwächt werden. Das führt überhaupt auf die Frage,
wie die dermalige Belastung im deutschen Reiche, Reich und Bundesstaaten zusammengenommen,
beschaffen ist, wie die Last sich auf die einzelnen Bevölkerungsklassen verteilt, inwieweit sie der
Gerechtigkeit entspricht. Wäre eine solche Feststellung möglich, so würde sie die wertvollsten
Direktiven für die Zukunft geben.
Wir sind nicht imstande, diese Frage in dem engen Rahmen, der dieser Abhandlung gesteckt
ist, auch nur einigermassen erschöpfend zu behandeln. Auch sind wir der Meinung, dass es über-
haupt nicht möglich ist, die Frage einwandfrei, und noch weniger, sie in einer alle Fragesteller be-
friedigenden Weise zu beantworten. Wie hoch die Belastungsverhältnisse im deutschen Reiche
sind, wie sich die Belastung zum Einkommen und, was wieder verschieden ist, zur individuellen
Leistungsfähigkeit der Steuerzahler verhält, diese Frage ist zwar in Deutschland gerade in der
letzten Zeit aus Anlass der Reichs- und Landessteuerreformen viel erörtert worden, aber von einer
Übereinstimmung sind wir weit entfernt. Zwar die Feststellung der auf den Kopf der Bevölkerung
entfallenden Beträge der Steuern insgesamt und im einzelnen ist nicht allzu schwierig; wir wissen
z.B. aus den Abhandlungen von O. Schwarz, dass im Jahre 1907/08 die Nettozölle und Steuern
in Grossbritannien 57,64, in Frankreich 61,38, in Deutschland 33,54, dass die Vermögens- und Erb-
schaftssteuern in Grossbritannien 8,65, in Frankreich 4,90, in Deutschland 1,96 M. pro Kopf erbrachten
usw. Damit ist jedoch nicht viel gewonnen. Das, was man vom steuerpolitischen Standpunkt aus
wissen möchte, wird mit solchen Zahlenangaben nicht aufgeklärt. Denn solche Durchschnittsbe-
rechnungen sind, die Richtigkeit der Urzahlen vorausgesetzt, nicht genau vergleichbar, weil für die
Belastungsfrage die verschiedene Zusammensetzung der Bevölkerung nach Lebensalter, Beruf und
Erwerb, die Höhe des Volkseinkommens und Volksvermögens und deren Verteilung in der Bevöl-
kerung massgebend sind und wir in dieser Beziehung vor unbekannten oder nicht hinreichend
sicher bekannten Grössen stehen. Für das einzelne Land aber kommt es noch darauf an, wie die
Steuerlast sich auf die Einzelnen verteilt. Und darüber geben die angestellten Schätzungen und
Berechnungen keinen einwandfreien Aufschluss. Entweder stützen sie sich auf ein allzu beschränk-
tes, noch dazu oft willkürlich gewähltes Material, aus dem dann in unzulässiger Weise verallgemeinert
wird; oder sie müssen wegen der politischen Zwecke, denen sie dienen sollen, von vorneherein dem
Zweifel unterstellt werden. Die Frage der wirklichen individuellen Belastung ist eine der schwierig-
sten des ganzen Steuerwesens. Das gilt ganz besonders von den Steuern vom Verbrauch, der so
wenig einer Schablone sich fügt und so sehr von individuellen Verursachungen bedingt ist. Und
wie wenig wissen wir von den Wirkungen gewollter und nicht gewollter Überwälzungen im Steuer-
wesen. Alle Berechnungen gehen von der Annahme aus, dass die Steuern genau so treffen, wie sie
gesetzlich gewollt sind, eine Annahme, für deren Richtigkeit es keine Bürgschaft gibt. Nur jahre-
lang fortgesetzte, umfangreiche und vorurteilslose Erhebungen könnten einiges Licht in das Dunkel
bringen. Zur Zeit ist eine klare Einsicht in diese Verhältnisse nicht möglich und es ist deshalb
begreiflich, dass die steuerliche Überlastung der unteren Klassen von den einen ebenso bestimmt
behauptet, wie von den anderen geleugnet wird. A. Wagner macht mit Recht darauf aufmerksam,
dass die Statistik mit ihren bisherigen Methoden und Hilfsmitteln nicht in der Lage ist, solche Fragen
genau zu lösen, auch in Deutschland nicht, wo man sich mehr als sonstwo mit ihnen beschäftigt
und in den Denkschriftenbänden zur Reichsfinanzreform ein reiches Material zusammengetragen hat.
Nachdem so der Schwierigkeiten gedacht ist, die einer Feststellung der Belastungsverhält-
nisse entgegentreten, soll doch nicht versäumt werden, in aller Kürze das aufzuzeichnen, was Unter-
suchungen über das Problem bisher für Deutschland ergeben haben, wobei wir uns freilich nur an
einige Schriftsteller halten. Gerloff hat an der Hand von Haushaltungsbudgets berechnet, dass die
Belastung durch Zölle und die anderen Verbrauchsabgaben bei Einkommen unter 800 M. 4,4—6,3
Proz., bei solchen von 800—1200 M. 4,4—6,3 Proz., bei solchen von 1200—2000 M. 3,6—5,1, bei
Einkommen von 2000—4000 M. 2,2—3,2, bei solchen von 4000—6000 M. 1,3—1,9, bei solchen von
10 00050 000 1,0—1,5, bei grösseren Einkommen nur mehr 1 Proz. betragen. Umgekehrt ist