K. Th. von Eheberg, Steuerreformen. 137
Progression weiter zu führen, die Besitzsteuern, Vermögens- und Erbschaftssteuern zu grösserer
Ergiebigkeit zu bringen. Auch das Gebiet der Verkehrssteuern lässt sich noch erweitern. Sollte
eine weitere Anspannung der Verbrauchsbesteuerung sich als unabwendbar erweisen, so könnte
sie sich nur auf eigentliche Genuss- und Reizmittel beziehen oder Gegenstände eines aus dem freien
Einkommen zu bestreitenden Aufwandes ergreifen, wobei nach Möglichkeit auch hier durch Ab-
stufung der Steuersätze nach der Qualität der mutmasslichen Leistungsfähigkeit der Verbraucher
Rechnung zu tragen wäre.
Der umstrittenste Punkt der Reichsfinanzreform von 1909 war die Frage der
Ausrestaltung der Reichserbschaftssteuer, insbesondere der Erstreckung der Steuer
auf Ehegatten und Abkömmlinge. Es ist nur aus Gründen, die steuerpolitischen Erwägungen
gänzlich ferne stehen, zu erklären, dass sich hiergegen in den Debatten des Reichstages eine so
heftige Opposition erhob und dass dieTatsache bei der Mehrheit der Volksvertretungunbeachtet blieb,
dass derjenige, der ein Vermögen erbt, im Daseinskampfe ganz anders dasteht als derjenige,
dem nichts hinterlassen wurde. Dass es sich dabei um eine mühelose, nicht selbsterworbene
Bereicherung handelt, hätte doch auch bei Beurteilung der Besteuerung der Abkömmlinge und
teilweise auch der Ehegatten Berücksichtigung finden sollen. Zudem sollten ja nach 'dem
Entwurf der Regierung Erbportionen bis zu einer gewissen Höhe von der Steuer befreit bleiben.
Die gegen die Besteuerung der Abkömmlinge und Ehegatten entfesselte Agitation, die Denun-
zierung derselben als „Witwen- und Waisenbesteuerung‘“ als „Totengräberin des deutschen
Familiensinnes“ haben keine Beweiskraft gegenüber der Tatsache, dass sie nicht nur England,
Frankreich, Österreich und die meisten anderen europäischen Staaten, sondern auch Elsass-
Lothringen, Hamburg, Bremen und Lübeck seit längerer Zeit betätigen. Jetzt ist die Be-
steuerung der Abkömmlinge und teilweise auch der Ehegatten für die aus Erbschaften
stammende Bereicherung auf dem Umwege des neuen Besitzsteuergesetzes doch zur Verwirk-
lichung gelangt (s. darüber 39. Abschnitt.)
Bei Gelegenheit der Reichsfinanzreform von 1909 und auch früher schon ist von verschiedenen
Seiten, namentlich von der Sozialdemokratie und den linksstehenden Parteien, die Forderung ver-
treten worden, den Bedarf des Reiches zum Teil durch eine Reicbseinkommen- oder Reichsver-
mögenssteuer zu decken. Die Reichsregierung hat sich aber solchen Plänen gegenüber bis zu diesem
Jahre (1913) ablehnend verhalten. An sich haben Reichseinkommen- oder Vermögenssteuern sicher
vor den Verbrauchssteuern manches voraus: siesind vor allem in ihren Erträgnissen weit weniger von
Zufällen abhängig als diese, sie können mit sicherem Erfolge erhöht und viel besser nach der Leistungs-
fähigkeit verteilt werden. DasRecht des Reiches, sich ihrer zu bemächtigen, kann ebensowenig
bestritten werden wie ihre technische Durchführbarkeit. Gleichwohl wird man es billigen müssen,
wenn das Reich bisher gezögert hat, sie für sich in Anspruch zu nehmen. Die von übereifrigen
Anhängern der Reichseinkommensteuer vertretene Idee, diese an Stelle der einzelstaatlichen
Einkommensteuern treten zu lassen und die Einzelstaaten auf Zuschläge anzuweisen, würde diese.
wie Laband sagt, finanziell auf die Stufe von Provinzial- und Kommunalverbänden herabdrücken,
Auch würde die Aufstellung eines Tarifs, der zugleich den Bedürfnissen der Einzelstaaten gerecht
werden müsste, wegen der verschiedenen Wohlstandsverhältnisse, der verschiedenen Höhe des
Bedarfs, der Verschiedenheit der staatlichen und kommunalen Steuersysteme in den Einzel-
staaten auf unüberwindliche Hindernisse stossen. Reichseinkommen- oder Vermögenssteuer
könnten nur als selbständige Steuern neben den Landessteuern mit eigenem Tarif, eigener Ver-
anlagung usw. zur Einführung kommen. Dass auch in diesem Falle schwere Bedenken bestehen,
ist von Laband, G. v. Mayr, Köppe u. a. eingehend begründet worden. Nun haben aber die
neuerlichen grossen Rüstungsausgaben, deren Notwendigkeit von der Volksvertretung anerkannt
wurde, doch dazu geführt, in dem Wehrbeitrag und der Besitzsteuer Vermögen und Einkommen
zugunsten des Reiches unmittelbar zur Tragung der Lasten heranzuziehen. Da aber die Reichs-
steuergesetze vom 3. Juli 1913 an anderer Stelle gesondert dargestellt und in ihren Wirkungen
beurteilt werden sollen, so begnügen wir uns hier damit, diese Tatsache festzustellen.
Dass die einmal bestehenden Verbrauchs- und Aufwandsteuern, auch wenn sie prinzipiell
so anfechtbar sind wie die Salz- oder die Zündholzsteuer, beibehalten werden, dürfte sich als Gebot