138 K. Th. von Eheberg, Stenerreformen.
der Klugheit empfehlen. Denn die Befürchtung ist begründet, dass bei deren Aufhebung die Preise
der belasteten Waren nicht oder wenigstens nicht um den vollen Steuerbetrag herabgehen würden,
da es den Produzenten und Händlern nicht allzu schwer fallen dürfte, durch Verabredungen die
dem Publikum vertraut gewordenen Preise aufrecht zu erhalten. Aus dem gleichen Grunde ist auch
der Ermässigung der Zuckersteuer, die der Reichstag für das Jalır 1909 beschlossen hatte, aber wegen
des gesteigerten Finanzbedarfes wieder aufgeben musste, zu widerraten. Dass Bier und Brannt-
wein relativ hoch belastet sind, während der Wein, abgesehen vom Schaumwein, unbelastet ge-
blieben, ist schwer zu rechtfertigen, auch wenn man die wirtschaftlichen Gründe würdigt, mit
denen diese Steuerfreiheit begründet worden ist. Bedauerlich ist, dass das Reich sich das Tabak-
tmonopol entgehen liess und auch die Fabrikatbesteuerung nicht zu erreichen war. Auch das Spiritus-
monopol, wie die Reichsregierung es plante, hätte den Vorzug vor der ziemlich komplizierten und
dem fiskalischen Interesse weit weniger zuträglichen Steuerumgestaltung im Jahre 1909 verdient.
Überhaupt stehen dem fiskalischen Monopol in allen den Fällen, in denen der Privatbetrieb bereits
einen monopolistischen Charakter angenommen hat, z. B. im Petroleumhandel, weit weniger Be-
denken entgegen, als ihm gemeiniglich nachgesagt zu werden pflegen. Es ist zu verwundern, dass
das Publikum sich die hohen Preise eines Privatmonopols gefallen lässt, aber Einspruch erhebt,
wenn die hierdurch erzielten Gewinne der Allgemeinheit zugute gebracht werden sollen.
In den Einzelstaaten werden sich die Reformen in der bisherigen Richtung weiter
zu bewegen haben: Einkommen- und Vermögenssteuer oder anstelle der letzteren zweckmässig
umgestaltete Ertragsteuern werden das Rückgrat des einzelstaatlichen Steuerhaushaltes zu bilden
haben. Dabei kann das Ziel nur dahin gehen, diese Steuern, namentlich die Einkommensteuer,
immer mehr der individuellen Leistungsfähigkeit anzupassen. In dieser Beziehung ist Deutschland
(und Österreich) bereits heute den anderen Kulturstaaten voraus, was die Progression der Steuer
betrifft; ebenso in bezug auf Abzug der Produktionskosten und auf Berücksichtigung besonderer,
die Leistungsfähigkeit mindernder Umstände. Während die italienische Einkommensteuer nur den
Unterschied von fundiertem und nicht fundierten Einkommen berücksichtigt, sonst aber alle
Einkommensgrössen mit einem proportionalen Steuersatze trifft, während England in seiner Income
tax nur wenige progressive Stufen bis 700 Pf. St., während Frankreich in seinen Ertragssteuern
in der Hauptsache nur proportionale Sätze kennt, beginnen die deutschen Einkommensteuern
vielfach mit etwa 1% Prozent und lassen den Steuersatz z. B. in Preussen bis 4 Proz. bei 100 000 M.,
in Sachsen bis 5 Proz. bei der gleichen Summe, in Bayern bis 5 Proz. bei 300000 M., in Württemberg
bis 5 Proz. bei 200 000 M., in Lübeck bis 6 Proz. bei 100 000 M. Einkommen ansteigen. Gleich-
wohl sind auch die deutschen Einkommensteuern noch in vielen Einzelheiten verbesserungsfähig
und -bedürftig. Zumeist beginnt die Steuerpflicht noch bei sehr kleinen Einkommen. Sachsen-
Weimar kennt überhaupt keine untere Grenze; Sondershausen, Lippe beginnen die Besteuerung
mit 300, Bayern mit 600. bezw. 300, Württemberg mit 500M.; in Sachsen ist die unterste Grenze erst
jüngst von 300 auf 400M. heraufgesetzt worden; Preussen und eine Anzahl anderer Staaten (Baden,
Hamburg, Braunschweig) lassen Einkommen bis900M. von der Steuer frei. Auch die Progression ist im
ganzen doch recht unzureichend durchgeführt und de facto mehr eine Degression für die unteren
Klassen. Die wenigen Beispiele, die vorhin angeführt wurden, zeigen, dass die Progression verhältnis-
mässig rasch endet. Noch dazu wird diese vielfach dadurch abgeschwächt, dass für die grösseren Ein-
kommen weitgegriffene Klassen mit demselben Steuersatze (nämlich mit dem Prozentbetrage der An-
fangssumme der betreffenden Klasse) gebildet sind, so dass Summen im Unterschiede von 10000 M.
und mehr die gleiche Steuer zu bezahlen haben, während in den unteren und mittleren Klassen die
Steuer dem Einkommen viel genauer folgt. Auch die die Leistungsfähigkeit mindernden Umstände
sollten, zumal in den unteren Klassen, noch ausgiebiger berücksichtigt werden als bisber. Es ist
ungerecht, dass z. B. in Preussen der Familienvater mit Frau und Kind bei einem Einkommen
bis 6500 M. die gleiche Steuer zu entrichten hat wie der Unverheiratete. Die Ermässigung selbst
um 3 Steuerstufen beim Vorhandensein von 5 oder 6 Kindern (innerhalb des eben bezeichneten
Einkommensbetrages) bildet kein ausreichendes Äquivalent gegenüber der weit höheren Leistungs-
fühigkeit der Kinderlosen und Unverheirateten. Die Ermässigung macht bei 6 Kindern und 6500 M.
löinkommen ganze 72M. zus. Die Frage ist erwägenswert, ob nicht der Unverheiratete einer seiner