140 K. Th. von Eheberg, Steuerreformen.
zuwachs und Reichsentwicklung. Allerdings tragen die Gemeinden zum Teil selbst Schuld an
diesem Vorgange. Statt sich dieser Einnahmequelle bei Zeiten zu versichern und sie nach ihren
Verhältnissen und Bedürfnissen zweckmässig auszubauen, hat die übergrosse Mehrzahl von ihnen
unter dem Einfluss der in den Gemeindekörpern vielfach dominierenden Grund- und Hausbesitzer
sich ihr gegenüber ablehnend verhalten und dem Reiche den Vortritt gelassen.
Im allgemeinen liegen die Verhältnisse, was Beweglichkeit und Geeignetheit des Steuer-
wesens betrifft, für die Gemeinden da günstiger, wo ihnen eigene Steuern zur Erhebung zugewiesen
sind wie in Preussen, vor allem die Ertragsteuern vom Immobiliarbesitz und vom Gewerbe; denn
die Be-itzer von Land. Gebäuden und Gewerbebetrieben, namentlich die beiden ersteren, geniessen
von der gedeihlichen Entwicklung der Gemeinde grössere Vorteile als die übrigen Gemeindebe-
wohner. Freilich darf die Anspannung dieser Steuern nicht übertrieben, muss daneben auch die
Einkommensteuer für gemeindliche Zwecke in Anspruch genommen werden; denn die Einrichtungen
und Anstalten der Gemeinde kommen allen zugute. Auch wird der Staat nicht umhin können,
die Grenzen zu ziehen, innerhalb deren sich die Autonomie in der Festsetzung der Steuersätze bei
den einzelnen Steuerarten betätieen kann, damit verhindert werde, dass die jeweils herrschende
Majorität die Steuerlast nach Willkür verteile oder die Gemeinden sich zwecks Anlockung von
Industriellen oder Kapitalisten gegenseitig in den Steuersätzen unterbieten. Bedenklich bei dieser
Ordnung, wie sie in Preussen besteht, ist die Tatsache, dass für Gemeindezwecke das Einkommen
aus Lohn, Honorar und Besoldung gleich stark zur Besteuerung herangezogen wird, wie das fundierte
Einkommen des Kapitalisten. Im übrigen hat die preussische Regelung, die dem Staate die
Einkommen- und Vermögenssteuer, die letztere ganz, die erstere zum grossen Teile, als prinzipale
Steuereinnahmen sichert, die Gemeinden in erster Linie auf die Grund-, Gebäude- und Gewerbe-
steuer verweist. den Vorteil, dass die Steuerlast doch zweckentsprechender verteilt ist als da, wo
gleichmässige Zuschläge zu allen Steuern erboben werden. Nicht unbefriedigend, wenn auch stark
schematisch, ist die Regelung des gemeindlichen Umlagewesens in Bayern durch Gesetz vom
14. August 1910. Hier werden für die Gemeindebesteuerung sämtliche Grund-, Haus- und Ge-
werbesteuern mit den 21% fachen, sämtliche Kapitalrentensteuern mit den 114 fachen, sämtliche
Einkommensteuern mit den halben Beträgen, grössere Berufseinkommen dagegen mit höheren
Beträgen in Ansatz gebracht. Recht bedenklich ist es, dass den Gemeinden vielfach das Recht
eingeräumt ist, die Besteuerung auch auf Einkommen zu erstrecken, die sich unter dem für die
Staatsbesteuerung festgesetzten Minimum bewesen.
Im vorstehenden sind nur die hauptsächlichsten Richtlinien bezeichnet, in denen künftige
Steuerreformen sich bewegen dürften. Auf Details einzugehen verbietet die Begrenztheit desRaumes.
Es soll aber bereitwillig zugegeben werden, dass die Schwierizkeiten vielfach erst anheben. wenn
die Richtlinien durch gesetzliche Normierung des Existenzminimums, der Progression, der Stener-
stufen, der Voraussetzungen für Steuererleichterungen usw. in die Praxis übertragen werden sollen.
Sind schon die Richtlinien strittig, so fehlt es hierfür vollends an jedem objektiven Massstab;
allgemeine Erwägungen, persönliche Eindrücke, Gefühl und Empfindung. aber aue:ı die Not der Ver-
hältnisse, wirtschaftliche Rücksichten u. a. treten an deren Stelle und treffen Entscheidungen, die
weder die Wissenschaft noch den einzelnen Steuerzahler befriedigen. Es mag nicht unangebracht
sein, zum Schlusse der Hemmungen und Widerstände zu gedenken, die sich der Entwickelung des
Steuerwesens in der Richtung auf grössere Gerechtigkeit und Gleichheit der Belastung entgegen-
stellen und zur Resignation zwingen.
Es gibt deren eine grosse Zahl. Sie liegen einmal in der Notwendigkeit, die für die Deckung
des Staatsbedarfes und die formale Ordnung der Finanzen erforderlichen Mittel unter allen Um-
stünden aufzubringen, selbst wenn dabei die Forderungen der ausgleichenden Gerechtigkeit zu
kurz kommen sollten. Wir haben dies bei der letzten Reichsfinanzreform erlebt, als die Reichs-
finanzverwaltung durch den Willen des Parlamentces gezwungen war, Steuern preiszugeben, die,
vom Standpunkte der gerechten Lastenverteilung aus betrachtet, den Vorzug verdient hätten,
und andere zu akzeptieren, gegen die, wieder von diesem Standpunkte aus, erhebliche Bedenken
bestanden. Es wäre ungerecht, dafür die Reichsfinanzverwaltung verantwortlich zu machen,
deren erste Aufgabe doch darin bestand, einer weiteren Verwirrung der Finanzen vorzubeugen