K. Th. von Eheberg, Steuerreformen. 141
und Ordnung ın den Reichshaushalt zu bringen. Sie musste sich sagen, dass unter den zwei Übeln:
Zerrüttung des Reichshaushaltes oder Deckung des Bedarfes durch zum Teil ungeeignete Steuern,
das letztere für sie das geringere war. Zudem die Hoffnung gehegt werden konnte, dass Mängel
im Steuerwesen über kurz und lang sich würden beheben lassen, während das chronische Defizit
eine schwere Schädigung des Ansehens des Reiches, seines Kredites, eine Untergrabung seines
Finanzwesens bedeutete.
Andere Hemmungen ergeben sich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen. Ist ein Land genötigt,
oder glaubt es genötigt zu sein, hohe Schutzzölle, namentlich auf Lebensmittel, zu errichten, so
wird die Gleichmässigkeit der Belastunx darunter zu leiden haben. Zwar ist die Absicht des Zolles
hier eine andere als beim Finanzzoll; aber die Wirkung ist die gleiche; hier wie dort wird der Be-
völkerung ein Teil ihres Einkommens entzogen und dem Staatssäckel zugeführt. Dadieunbemittelten
Klassen in der Regel an den Schutzzöllen schwerer zu tragen baben als die vermöglicheren, so wäre
ein Ausgleich bei anderen Gliedern des Steuersystems erforderlich. Nicht selten aber unterbleibt
er, weil bei den Schutzzöllen mehr die Absicht als die Wirkung ins Auge gefasst wird und weil
man bei ihrer Einführung häufi,s auf zeitliche Beschränktheit hofft.
Auch in anderer Beziehung machen sich wirtschaftliche Rücksichten geltend. Hat man
früher die geringe Belastung der Kapitalrenten damit zu rechtfertigen gesucht, dass die Kapitalisten
bei starker Besteuerung dem ungastlichen Lande den Rücken kehren würden, so findet die progressive
Ausgestaltung der Steuern und die Höhe der Steuersätze heute ihre Grenze in der Rücksichtnahme
auf die Vermehrung des Volksvermögens, ohne die keine intensivere Landwirtschaft, kein Auf-
blüben der Industrie, keine Besserung der Zahlungsbilanz, keine Verbilligung des Staatskredits
möglich ist. Hohen Steuern vom Luxusaufwand, die an sich berechtigt sind, tritt die Befürchtung
entgegen, dass der Aufwand abnehmen oder andere Formen anne!.men werde, was wieder auf die
beteiligten Industrien und die in ihnen beschäftigten Personen zurückwirken müsste.
Weitere Hemmungen bereitet der Parlamentarismus. Es muss durchaus anerkannt werden,
dass die Volksvertretungen, namentlich die deutschen und hier wieder besonders die Landtage,
in den letzten Jahrzehnten fruchtbare und erfolgreiche Arbeit auf dem Gebiete des Steuerwesens
geleistet haben, sei es dass sie der Führung fortschrittlich gesinnter Finanzminister sich anschlossen,
sei es dass sie ihrerseits zu Reformen drängten. Auch ohne die treibende Kraft der sozialdemo-
kratischen Kritik, die zudem in den Landtagen erst seit kurzer Zeit zu Worte kommt, haben die
bürgerlichen Landtage in Preussen, Baden und anderen Ländern die grossen Fortschritte auf dem
Gebiete des direkten Steuerwesens bewerkstelligt, von denen eben die Rede war. Die neuere Aus-
bildung der Einkommen- und Vermögensbesteuerung in Preussen ist trotz des Wahlzensus, die
Entwicklung der Einkommen- und Erbschaftsbesteuerung in England trotz der Herrschaft der
besitzenden Klassen zustande gekommen. Andererseits ist man in Frankreich. von anderen Mängeln
seines Steuersystems abgesehen, nicht einmal zur Ausbildung einer lückenlosen Kapitalrentensteuer
gelangt und hat das Parlament, trotz des demokratischen Wahlrechts, bis heute die Personalbe-
steuerung nicht zum Gesetze werden lassen. Es liegt in der Natur der Dinge, dass in der Volks-
vertretung Parteidoktrinen, taktische Erwägungen, Rücksichten auf die Wähler immer ein Ausschlag
gebendes Gewicht haben werden. Und bei Fragen der Steuerreform, die den Geldbeutel jedes
Einzelnen berühren, noch mehr als bei manchen anderen. Solche Einflüsse zeigen sich dann nicht nur
in der Wahl der Steuerarten, sondern auch und oft viel mehr in den Bestimmungen über die Steuer-
sätze, im Einsteuerungsverfahren und dergl. mehr. Es sei an die Erfahrungen erinnert, die mit der
preussischen Kommunalbesteuerung gemacht wurden. Wo der Grund- und Hausbesitz eine starke
Vertretung in den Gemeinden hat, wird die Neigung bestehen, die Personalbesteuerung in höherem
Masse in Anspruch zu nehmen als die Besteuerung des Realbesitzes. In Staaten mit vorwiegend
agrarischem Charakter wird, wie die jüngsten Vorgänge in Bayern zeigen, mobiles Kapital, Industrie,
städtischer Hausbesitz meist stärker angefasst. Vollends wo die Einkünfte, wie im Deutschen Reich,
vorwiegend aus Verbrauchssteuern erbracht werden, ist nicht nur mit der Abneigung der breiten
Massen und ihrer Vertreter zu kämpfen, sondern es greifen auch die betreffenden Produzenten-
gruppen und ihre Organisationen ein. Es beginnt ein Kampf aller gegen alle, in dem nicht immer die
besseren Gründe, sondern häufig die grössere Stärke und Geschicklichkeit in der Agitation, der