Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

146 Otto Schwarz, Die öffentlichen Kredite. 
aus der Natur des Schuldners heraus der Gläubiger von seinem Standpunkte aus im Gegensatze 
zum privaten Kredit auf eine Rückzahlung in bestimmter Zeit verzichten oder doch die Rück- 
zahlung ziemlich lange hinausschieben kann. Die Aufgaben, welche den öffentlichen Wirtschaften 
obliegen, machen ferner für diese in weit überwiegendem Masse langfristigen Kredit erforderlich, 
während bei dem privaten Geschäftsmann oft der kurzfristige Kredit eine weitaus grössere 
Rolle spielt. 
Endlich fordert die mit der Grösse der öffentlichen Ausgaben zusammenhängende Höhe der 
Anleihesummen, die beim öffentl. Kredit in Frage kommen, dass die Form der Anleiheaufnahme 
(Namens- und Inhaberobligation, Schuldbuch), von der im Privatleben üblichen Form der Schuld- 
aufnahme (Darleben) erheblich abweicht. Erst seitdem in neuerer Zeit in der Volkswirtschaft die 
Gesellschafts-- und Gesossenschaftsbildung immer mehr überhand genommen hat, hat die 
von öffentl. Kreditinstituten geschaffene Form der Namens- und Inhaberobligationen auch im 
privaten Wirtschafts- und Kreditleben einen immer wachsenden Eingang gefunden (Industrie- 
obligationen, Pfandbriefe usw.) 
B. Staatliches Kreditwesen. 
Entsprechend der Bedeutung und den Aufgaben des Staates spielt das staatl. Kreditwesen 
unter allen Arten des öffentlichen Kredits die weitaus bedeutendste und zugleich führende Rolle. 
Die starke Rückwirkung, welche die Aufnahme staatlicher Kredite für den lebenden und 
zukünftigen Steuerzahler ausübt oder doch ausüben kann, lässt es fast als selbstverständlich er- 
scheinen, dass im konstitutionellen Staat die Ermächtigung zur Aufnahme von Staats- 
kredit nur durch Gesetz geschehen kann {R. V. Art. 73 Pr. V. U. Art. 103, Bayerische V. 
U. v. 26. Mai 1818, Tit. VII, $$ 11—13 usw.).!) Und nicht minder einleuchtend ist, dass die Vor- 
bereitung und Ausführung der Kreditgesetze, auch wenn andere Ressorts der Kredite bedürfen, 
dem Finanzchef obliegt, der für die Übereinstimmung von Einnahmen und Ausgaben im staat- 
lichen Haushalt zu sorgen hat. Er ist zugleich derjenige Minister, der über Art und Form der 
Kreditaufnahme regelmässig Entscheidung zu treffen hat. 
Als hauptsächlichste Arten des Staatskredits hat man zu unterscheiden Staatspapiergeld, 
schwebende Schulden und feste oder fundierte Schulden. 
  
1. Staatspapiergeld. 
Staatliches Papiergeld spielt heute im Deutschen Reiche nur noch eine untergeordnete Rolle. 
Durch das R. Ges. v. 30. April 1874 (Rgbl. S. 40) wurden an Stelle der verschiedenen 
Staatspapiergeldarten, welche binnen einer bestimmten Frist aufzurufen und schnellstens einzu- 
ziehen waren, 120 Mill. unverzinsliche Reichskassenscheine geschaffen, eine Summe, welche dem 
im Juliusturm zu Spandau liegenden baren Reichskriegsschatze genau entsprach, aber nicht 
etwa auf derselben radiziert war. 
Diese 1874 ausgegebenen Reichskassenscheine wurden unter die Bundesstaaten nach dem 
Massstabe ihrer durch die Zählung vom 1. Dezember 1871 festgestellten Bevölkerung verteilt. 
Doch durften die Bundesstaaten die Reichskassenscheine nur in dem Masse ausgeben, als sie ihr 
eigenes Papiergeld einzogen.2) 
. Hinsichtlich der Natur dieser Reichskassenscheine ist daran festzuhalten, dass sie kein 
eigentliches Papiergeld darstellen. Sie sind der Kategorie des uneigentlichen Papier- 
  
?) Es handelt sich hier nur um die eigentlichen Finanzschulden, welche zur Ergänzung felılender 
ordentlicher Deckungsmittel für den Staatsbedarf zu dienen bestimmt sind, nicht dagegen sog. Verwaltungs- 
schulden d.h. Kreditmassnahmen, die in der gewöhnlichen Geschäftserledigung der Verwaltungsorgane vorkommen, 
aber sich im übrigen in nichts von den Kreditgeschäften des gewöhnlichen privaten Geschäftslobens unterscheiden 
und nicht dazu dienen sollen, fehlende Einnahmen des Staates dauernd oder vorübergehend zu ergänzen. Div 
Vornahme derartiger Schulden vollzieht sich in rein privatrechtlicher Form, ist ein Ausfluss der allgemeinen Ressort- 
befugnisse der Verwaltungsbehörden und bedarf einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung nicht. " 
:) Neues Stastepapiergeld dürfen «die Bundesstaaten nur auf Grund eines Reichsgesstzes ausgeben 
($8 R Ges. v. 30. 4. 74).
	        
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