Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

148 Otto Schwarz, Die öffentlichen Kredite. IL 
vorlagen, Vorschusszahlungen der Unfallrenten, welche die Reichspost und die bayerische und 
württemb. Postverwaltung für Rechnung der Berufsgenossenschaften usw. gesetzlich zu leisten 
hatten, können die gewöhnlichen Betriebsfonds von vornberein nicht ausreichen. In solchen 
Fällen muss ergänzend die Aufnahme schwebender Schulden eintreten.f) 
Die hierfür übliche Form ist, soweit das Reich in Frage kommt, die der unverzins- 
lichen Reichsschatzanweisungen. Das sind Anweisungen auf Zahlung einer 
bestimmten Geldsumme zu einem bestimmten Termine seitens der Reichshauptkasse. Sie 
lauten in der Regel auf Beträge von 1000, 10 000, 50.000 oder 100 000 M. 
Sie werden in der Regel von der Reichsbank 8) gegen Verrechnung eines Zinses in Höhe des 
Bankdiskonts diskontiert. Die Reichsbank hat das Recht, diese Schatzanweisungen weiter an 
andere Banken und Private zu rediskontieren, ein Recht, von dem sie namentlich im Interesse 
ihrer Diskontpolitik Gebrauch macht, um bei unerwünschter Geldfülle im offenen Markte den 
Geldmarkt durch Verkauf von Sch. zu verengen, zu versteifen. Der Reichskanzler hat zu bestimmen, 
wann und in welcher Höhe Sch. ausgegeben werden sollen, wie lange die Umlaufszeit dauern 
soll u.s. f. Bei den zu vorübergehenden Verstärkungen der ordentl. Betriebsmittel der Reichs- 
hauptkasse bestimmten Sch. darf die Umlaufszeit den Zeitraum von 6 Monaten nach Ablauf des 
betr. Rechnungsjahres nicht überschreiten ($ 7 der Reichsschuldenordng. in der Fassung der 
Nov. v. 22. 2. 1904). 
Der etatsmässig zulässige Höchstbetrag de$S Umlaufs der Schatzanweisungen 
zur vorübergehenden Verstärkung des Betriebsfonds der Reichshauptkasse wird alljährlich im 
Reichsfinanzetatsgesetz festgelegt ($1 Abs. 2 der Reichsschuldenordn. v. 19. 3 1900). So wurde diese 
Höchstsumme für 1877 und 1879 auf 24 Mill., für 1878, 1880—81 auf 40 Mill. festgesetzt. In den 
Jahren 1882—86 erhöhte man ihn auf 70 Mill., 1887—91 auf 100, von 1892—1901 auf je 175 Mill, 
Seitdem musste er gewaltig gesteigert werden; er betrug 1902—1904 je 275, 1905—1907 je 350. 
1908 475, 1909, dem Jahre der Finanzreform. sogar 600 Mill. M. Erst infolge der Reichsfinanz- 
reform konnte der Höchstsatz wieder 1910 auf 450, 1911 auf weitere 375 Mill. M. ermässigt 
werden. Seit 1912 ist, der Höchstbetrag weiter auf 350 Mill. M. herabgemindert. Diese Zahlenent- 
wicklung gibt jedoch insofern kein ganz vollständiges Bild, als Schatzanweisungen in den 
Grenzen jener Maximalsummen mehrfach im Jahre begeben werden können. 
Der unverzinsliche Schatzanweisungskredit als schwebende Schuld zur Verstärkung der 
Betriebsfonds ist ausser im Reiche auch in einer Anzahl der grossen Bundesstaaten üblich. 
In Preussen, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Elsass-Loth- 
ringen pflegt in den Finanz- und Etatsgesetzen ein Höchstbetrag für Ausgabe kurzfristiger 
Schatzanweisungen „zur vorübergehenden Verstärkung des Betriebsfonds‘‘ der Staatshauptkasse 
festgesetzt zu werden. 
Rechnet man die Inanspruchnahme des deutschen Geldmarkts durch Schatzanweisungen 
und sonstige kurzfristige Geldaufnahmen seitens des deutschen Reichs und der 
Bundesstaaten zusammen, so ergeben sich steigende und namentlich in gewissen Monaten, 
vor allem in der. Winterhälfte oft erhebliche Summen. 
Erst in neuerer Zeit hat sich diese Gesamtsumme namentlich infolge geringerer Bedürfnisse 
des Reiches erheblich vermindert. (Nähere Ziffern in der I. Aufl. S. 147.) 
Der Form nach als schwebende Schulden auftretende, ihrem Wesen nach mehr den festen, 
fundierten Schulden zuzurechnende Schuldformen sind die verzinslichen (mehrere 
Jahrelaufenden) Schatzanweisungen. 
Als sich gegen Ausgang der 90er Jahre der deutsche Anleihemarkt erheblich verschlechterte 
und die Wirtschaftskrise des Jahres 1900 die Ausgabe 3%, Reichsanleihen zu annehmbaren Preisen 
unmöglich machte, fing man zum ersten Male im Reiche wiederum an, längerfristige aber ver- 
zinsliche Schatzanweisungen auszugeben. Man begann zunächst mit Ausgabe von 80 Mill. 
') Schwebende Schulden finden sich daher auch in England und Belgien. 
®) Gelegentlich werden auch an andere Banken oder Private Schatzanweisungen gegeben.
	        
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