Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

152 Otto Schwarz, Die öffentlichen Kredite. 
Was die Verzinsung der Reichsschulden anbelangt, so wurde, wie bereits hervor- 
gehoben, die erste Anleihe von 43 Mill. M. des Reiches im Jahre 1877 mit 4% zu 94% begeben 
und dem Publikum (im Wege der öffentl. Zeichnung) zu 94,, % angeboten. Es wurden aber 
1877 noch einige kleinere Anleihen durch freihändigen Verkauf zuKursen zwischen 94,,,_.; 
begeben. Der Durchschnittekurs der im Jahre 1877 begebenen 72,2 Mill. M. nominal stellte 
sich auf 94,,,%, was einen Realzinsfuss von 4,,,% bedeutete. Von da an besserten sich die 
Zinsbedingungen von Jahr zu Jahr in fast ununterbrochenem Tempo bis 
zum Jahre 1889. Die Emissionskurse der bis zum Jahre 1886 neu aufgenommenen 4% An- 
jeihen stiegen allmählich bis auf fast 106% (105,,8%) an, wodurch der Realzins bis auf 3,,,% her- 
abgemindert wurde. In diese Zeit (4.3.85) fiel in Preussen eine grosse Konversion 415% iger 
Konsols (545%, Mill. M.) und die Umwandlung von über 11%, Milliarden Eisenbahnprioritäten, zu 
meistenteils 444% verzinslich, in 4% Konsols. Zugleich ging Preussen (seit Juli 1885) zum 3%, %igen 
Typ über. Dieser Tatsache gegenüber glaubte die Reichsregierung berechtigt zu sein, nunmehr auch 
ihrerseits den 4% Typ verlassen zu können, und gab 1886 neben 10 Mill. M. 4% zum ersten Mal 
36,, Mill. M. 31, %iger Reichsanleihe aus. Wie richtig die Massnahme war, ergab sich am besten daraus, 
dass die neuen 314% igen Titres fast genau zu pari (zu 100,03%) ausgegeben werden konnten, 
wodurch sich der Realzins von 3,,, auf 3,,,% herabminderte. Im folgenden Jahre, 1887, konnte 
dieser Emissionskurs allerdings nicht ganz aufrecht erhalten werden, was wohl vor allem daran 
lag, dass, während bisher die Jahresaufnahme von Anleihen sich zwischen Summen von 24—79 
Mill. M. bewegte, in diesem Jahre mit einem Male nicht weniger wie 235 Mill. M. Schulden auf- 
genommen wurden. Der Emissionskurs konnte daher nur auf 99,,,% festgestellt werden, was 
den Realzins auf 3,,,% erhöhte. In den Jahren 1888 und 1889 hob sich aber, obgleich die sehr 
erheblichen Summen von 163 und 234 Mill. M. aufgenommen werden mussten, der Emissions- 
kurs bereits wieder auf 102,,, und 102,,,%, der Realzins senkte sich also auf 3,,,% und 3,,,%- 
So hatte die Regierung in dieser ganzen Zeit mit dem System der Emission nominell 
hoch verzinslicher Schulden recht gute Erfolge erzielt. Für die in der Zeit von 1877 
bis 1889 begebenen Anleihen im Nominalbetrage von insgesamt 1 117 981 800 M. wurden bei der 
Emission in Wirklichkeit erzielt 1 225 555 904 M.ı') 
Das Jahr 1890 brachte eine wesentlicbe Wandlung in der Anleihepolitik der Regierung insofern, 
als diese mehr zum System nominell niedrig verzinslicher Schulden 
überging. Es wurden nämlich in diesem Jahre zum ersten Mal neben 29,, Mill. M. 31/,%iger zu 
98,,,% auf 170 Mill. M. 3% ige Reichsanleihe zu 86,,,% ausgegeben. 
Der Erfolg der Anleihe vom rein fiskalischen Standpunkte war zunächst ein 
günstiger. Während die 314% Anleihe des Jahres 1890 von 29,, Mill. den Realzins wieder 
auf 3,,,% gesteigert hatte, senkte sich nun bei 3% und einem Emissionskurse von 86, % 
der Realzins wieder auf 3,,,%. Für die Besitzer der bestehenden 4 und 314% Reichsanleihen be- 
deutete diese Einführung des 3% Typs aber einen gewissen Schreckschuss, indem sie nunmehr 
ernstlich genötigt wurden, sich auf Konvertierungsmassnahmen vorzubereiten. Namentlich mussten 
die Besitzer 4%, Titres mit einer solchen Massnahme rechnen. Für diese Anleihen war daher die 
aufsteigende Richtung der Kursbewegung nunmehr dauernd vorbei. Während sich ihr Durch- 
schnittskurs von 1877 bis 1889 von 95,,,% allmählich bis auf 108,,,% (Höchstsatz 1889 sogar 109,.,%) 
gesteigert hatte, wurde ein solcher Kurs von nun an nicht mehr erreicht. Der Kurssteigerung 
von Beginn der 90er Jahre bis 1896 von 98,,,% auf 104,,,% bei den 3%, %igen und bis 1895 
von 87,,0,% bis 100,,% bei den 3% igen stand bei den 4% igen eine rückläufige Entwickelung 
des Börsenkurses von 106,,,% 1?) bis 103,,,% im Jahre 1897 gegenüber. 
Bei der Frage, ob jenes Übergehen der Reichsregierung zum 3%igen Typ — das 
Hand in Hand ging mit der Einführung des 3% igen Typs in Preussen — berechtigt war, oder 
nicht, wird zu berücksichtigen sein, dass der Anleihemarkt damals mit 31,% igen Anleihen 
durch die starken Anleiheaufnahmen in Preussen und im Reich sehr wesentlich überlastet war, 
11) S. Bericht der Reichsschuldenkommission Reichst.-Session 90,92 Aktenst. 422. 
'") Nur um 1892 u. 1803 fand eino kleine Steigerung auf 106,, und 107,,,%/, statt.
	        
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