Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Friedrich Zahn, Das Deutsche Volk. 213 
innewohnt (M. v. Pettenkofer). Ein tüchtiges Volk pflegt seine Gesundheit, um seine volle 
Kraft für seine Grösse einsetzen zu können. 
Der Zuwanderung fremdländischer Elemente müssen wir ein besonderes Augenmerk schenken. 
Wir müssen auf grössere Selbstdeckung des steigenden Kräftebedarfs durch Massnahmen der 
oben (S. 181) besprochenen Art Bedacht nehmen. 
Des weiteren erheischt die drohende Blutleere des platten Landes dringend Gegenmass- 
nahmen durch Festigung des Land volks auf dem Lande, durch Wohlfahrts-, Jugendpflege, 
Haushaltungsschulen, angemessene ländliche Vergnügungen und durch Kleinsiedlungen. Der Bauer 
muss wieder heimatfroh und heimatstolz auf seiner Scholle werden. Wir müssen den Bauernstand 
selber verstärken. Darum gilt es, was wir noch an landwirtschaftlichem Boden haben, zu erhalten und 
zu dem Behuf auch die zum Teil stark um sich greifende Fideikommissbildung zu beschränken, 
ausserdem im Weg weiterer innerer Kolonisation und Intensivierung der Landwirtschaft (Aus- 
nützung der Moore und Ödländereien) kulturfähiges Land neu zu erschliessen. Dies gebietet schon 
die Rücksicht auf die vermehrten Aufgaben, die die Landwirtschaft für Ernährung der Bevölkerung 
mit Brot, Fleisch, Milch zu erfüllen hat, also die Rücksicht auf die wünschenswerte agrarische 
Selbstversorgung. Aber neben diesen wirtschaftlichen Erwägungen müssen wir aus nationalen, 
politischen und sozialen Gründen der Landwirtschaft, dem Bauernstand den Rücken stärken. 
Das Bauernvolk ist der konstitutionell wertvollste Teil der Bevölkerung, die Sterblichkeit des 
bäuerlichen Berufs zählt zu der niedrigsten. Daher kann die Kolonisation im Innern unermess- 
liche rassenhygienische Werte schaffen, wenn sie energisch fortgeführt wird. Damit steuern wir 
zugleich der physischen wie politischen Gefahr, die der Gesundheit des Volkes droht aus dem 
jetzigen mit der Bevölkerungsmehrung zusammenhängenden Hasten und Treiben, aus der leb- 
haften Neigung aufsteigender Klassenbewegung, aus dem allgemeinen Wahlrecht und der fort- 
schreitenden Volksbildung. Indem wir im Bauerntum pfleglich behandeln, was unsern Volks- 
organismus jung hält und stetig auffrischt, sichern wir ein politisches Gegengewicht, erhalten wir 
eine der festesten Säulen des gesamten Staatswesens. — Mit diesem Vorgehen zwecks Erhaltung und 
Stärkung unsres Bauernstands müssen Massnahmen im Interesse der landwirtschaftlichen Arbeiter 
Hand in Hand gehen. Gerade weil Letzteren derzeit die wirtschaftliche Stellung des gewerblichen 
Arbeiters, ähnlich der des mit Pensionsberechtigung angestellten Beamten, so begehrenswert 
erscheint und sie deshalb in gewerbliche Berufe so vielfach abwandern, gilt es, dem Landarbeiter- 
Beruf wieder zu erhöhter Anziehungskraft und grösserer Sesshaftigkeit zu verhelfen. Man muss 
den Landarbeiter in die Lage versetzen, sich durch Erwerb von Eigenland selbständig zu machen, 
sei es im Weg von Pächter- oder Eigentumsstellen (Rentengüter) oder von Häuslereien, die an lang- 
gediente Arbeiter pacht-odererbpachtweiseabgegeben werden. Eine derartige Aufstiegsmöglichkeit 
wird den Stand der Landarbeiter sozial heben und festigen. 
Ebenso verlangen pflegliche Behandlung Industrie, Handel und Verkehr, 
welche zahlreichen Arbeitskräften Geld und Nahrung geben, für den öffentlichen Haushalt 
wichtige Finanzquellen repräsentieren, die für staatliche Grösse und Macht so notwendigen 
Eigenschaften von Schaffenskraft, Mut, Ausdauer, Disziplin innerhalb der Nation entfalten. 
Und zwar auch in den Reichsgebietsteilen, wo sie einstweilen schwach vertreten aber 
ausbaufähig sind. Die stellenweise bereits in die Wege geleitete Ausnützung der Wasser- 
kräfte, die weitere Verbesserung der Transportverhältnisse für industrielle Rohstoffe, die Aus- 
gestaltung der Eisenbahnen und Herstellung leistungsfähiger Wasserstrassen (auch im Vollzug 
des neuen Schiffahrtsabgabengesetzes) werden sich dabei sehr förderlich erweisen. Aber auch auf 
dem Gebiete der Besteuerung empfiehlt sich jene pflegliche Behandlung, damit nicht die Produktiv- 
kraft der Industrie, die Unternehmungslust der Kaufmannschaft im Keim erstickt und lahm ge- 
legt oder gar ins Ausland gedrängt wird. Ebenso verhält es sich mit den Lasten der Sozialpolitik, 
die die Tragfähigkeit der industriellen Schultern nie ausser acht lassen darf. Allerdings gilt 
auch die Erfahrung, dass nur der höhere Mensch höhere \Verte schaffen kann, dass nur bei 
höheren Lebensbedingungen, wie sie von unserer sozialpolitischen Meliorationsgesetzgebung 
(Arbeiterschutz, Jugendpflege, Arbeiterversicherung) angestrebt werden, bessere Waren möglich 
sind. Gerade aus dem letzteren Gesichtspunkt wird der intelligente Berufsarbeiter immer unent-
	        
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