220
Friedrich Zahn, Geburtenrückgang in Deutschland.
Weitere Hemmnisse der Fruchtbarkeit liegen auf sozial-pathologischem Gebiet. So häufen
sich im Zusammenhang mit der gewollten Beschränkung der Fruchtbarkeit die kriminellen Aborte,
um eingetretene Konzeptionen nicht zum Austrag kommen zu lassen. Daneben werden prophy-
laktische Aborte bei gewissen Erkrankungen der Mutter zur Verhütung bezw. Beseitigung der
Schwangerschaft jetzt zahlreicher als früher vorgenommen, zumal die moderne Medizin den mütter-
lichen Organismus höher bewertet als das Kind im Mutterleib. Auch die durch die dichtere Wohn-
weise, durch die Verstadtlichung der Bevölkerung herbeigeführte Mehrung von Geschlechtskrank-
heiten, sowie die Folgen des Alkoholismus sind im Zusammenhang mit dem Rückgang der Frucht-
barkeit zu nennen. Ferner spielt eine Rolle die zunehmende Neurasthenie als Folge sowohl des
rationalisierten Geschlechtslebens (Coitus interruptus) wie der Hast des modernen Erwerbslebens.
Die Wirkungen dieser pathologischen Momente äussern sich in Sterilität, Totgeburten, Fehlgeburten.
Nach ärztlicher Wahrnehmung sowie nach Feststellung von Krankenkassen kommt auf 5 bis 6
Lebendgeborene durchschnittlich mindestens eine Fehlgeburt, bei einzelnen Schichten schon auf
3 Lebendgeburten. Durch solche Änderungen der Fehlgeburtenhäufigkeit scheint nicht nur eine
Minderung der Fruchtbarkeit, sondern insbesondere auch eine Veränderung im Geschlechtsver-
hältnisse der Geborenen, nämlich ein Sinken des Knabenüberschusses bedingt zu sein.
Mögen diese pathologischen Gründe bei der Erscheinung des Geburtenrückgangs auch ins
Gewicht fallen, so sind sie einstweilen sicher nur sekundärer Natur und nicht von entscheidender
Wirkung. Darauflässt schon die Tatsacheschliessen, dass, wie erwähnt, ein Rückgang der ehelichen
Fruchtbarkeit nicht in den ersten Jahren der Ehe, sondern erst bei den über 25 Jahre alten Frauen
sich nachweisen lässt.
IH. Bedeutung des Geburtenrückgangs.
Zweifellos liegt im Geburtenrückgang eine gewisse Gefahr.
Vor allem ist in biologisch-völkischer Beziehung — mit J. Grassi — darauf hinzuweisen,
dass ein Volk oder ein Volksteil, in dem der Zwergfamilie (Familie mit weniger als drei Kindern)
zehuldigt wird, nicht mehr vollfruchtig zu werden imstande ist, auch wenn die Ursache, die zur
Zwergfamilie führt, wegfällt. Die Zwergfamilie ist für den Muttertrieb, den Trieb und Willen zum
Kinde nachhaltend schädlich und bedroht daher im Endeffekt das Volk in der Existenz. Ausser-
dem verdirbt ein allgemeiner werdendes Zweikindersystem die Güte der vorhandenen Rasse, denn
erfahrungsgemäss fallen die erstgeborenen Individuen vielfach etwas geringwertiger aus als die
späteren Früchte, das dritte und vierte Kind gedeihen gewöhnlich körperlich wie geistig am besten.
Die geringe unzureichende Fruchtbarkeit in den Klassen der Besitzenden und Höhergebil-
deten führt vielfach zum Aussterben von Familien mit älterer Kultur und höherer Bildung. Da-
durch gehen wichtige vererbbare Werte von Wissen und Können dem Volke verloren und ist ein
ungenügender Nachwuchs an hochbegabten, zur Führung auf den verschiedensten Gebieten des
Staats- und Gesellschaftslebens befähigten und für das Wohl der Massen unentbehrlichen Personen
zu befürchten. Zudem wird infolge Wegsterbens der genannten Familien der durchschnittliche
Pegelstand des Volkes immer wieder herabgedrückt und an einer an sich möglichen höheren Ent-
wicklung gehindert.
Neben dem völkischen und kulturellen leidet auch der politische und wirtschaftliche Fort-
schritt des Reiches. Eine grosse Volkszahl ist unerlässlich für eine starke Wehr. Zur Behauptung
der wirtschaftlichen Stellung bedarf es einer grösseren Zahl Erwerbstätiger. Solange Deutschland
Einfuhrland für Menschen, erscheint jeder Geburtenüberschuss als nationaler Gewinn, stärkt die
Selbst gunasmögli it mit Arbeitskräften, macht weniger abhängig vom ausländischen
Arbeitsmarkt. Zudem hat sich eine grosse Kopfzahl in der Einzelfamilie wie im Volksganzen alk
psychischer Hebel für den wirtschaftlichen Fortschritt erwiesen. Nur wo ein gewisser Zwang zur
Tatkraft vorhanden ist, spannt der einzelne seine körperlichen und geistigen Kräfte stark an. „Eine
Nation, die sich auf den Rentnerstandpunkt zurückzieht und sich mit der vorhandenen Volkszahl
begnügt, ist zum langsamen Verfall verurteilt. Diesen Völkern geht es wie einem in Wohlleben
und Selbstgenügsamkeit gross gewordenen Menschen. der sich nicht anzustrengen braucht und es
deshalb auch nicht tut‘ (Knöpfel).