Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

C.J. Fuchs, Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Wirtschaftspolitik, 233 
  
geworden und geblieben. Und in den grossen Linien, wenn auch nicht in den Einzelheiten, ist die 
Entwicklung auch im übrigen Nordwesten undamNiederrhein ebenso verlaufen. 
Anders dagegen in Mittel- und Südwestdeutschland. Hier ist es zu einer 
geldwirtschaftlichen Umgestaltung der älteren Grundherrschaft im Interesse des Grundherren 
nicht gekommen: diese blieb hier äusserlich bestehen und verfiel damit innerlich. Da die alten 
Grundzinsen hier keine der gesteigerten Grundrente entsprechende Erhöhung erfuhren, wurden 
sie aus einem ursprünglicben Entgelt für die Nutzung der Höfe zu einem blossen Rekognitionszins 
für das Obereigentum des Grundherrn. Damit wurde das Besitzrecht des Bauern hier ein sehr 
gutes: Erbzinsrecht oder zinspflichtiges Eigentum. Und der Bauer erlangte auch damit das Recht, 
den an sich hier klein gebliebenen, nicht wie in Nordwesten vergrösserten Hof zu teilen, wozu die 
günstigeren klimatischen Verhältnisse dieser Gegenden, mit dem Anbau von Handelsgewächsen 
und namentlich von Wein, aus technischen Gründen Anlass gaben. So entwickelte sich hier die 
Freiteilbarkeit schon frühzeitig. Aber der Bauer wurde auf der anderen Seite hier nicht 
persönlich frei, sondern war einem Erb- oder Leibherrn untertänig, „leibeigen“, der 
später nicht immer mit dem Grundherrn identisch war, und dazu kam dann hier auch noch haupt- 
sächlich der von ihm regelmässig verschiedene private Geriehtsherr, welchem der Bauer 
namentlich Dienste zu leisten hatte. So war der Bauer hier bei guten Besitzrechten persönlich 
stark gedrückt und mehrer:n Herren Dienste und Abgaben schuldig. Die willkürliche Steigerung 
dieser Leistungen und die Inanspruchnahme der Almenden durch die Herren führten hier zum 
Ausbruch des Bauernkriegs, der zwar mit der Niederlage der Bauern endigte, aber doch eine 
Warnung für die Herren bildete, so dass sich die Lage der Bauern hier seitdem nicht weiter ver- 
schlechterte, sondern bis zur Bauernbefreiung eher verbesserte. Letztere war hier nicht 
aus wirtschaftlichen, sondern hauptsächlich aus politischen Gründen, gegenüber den vielen kleinen 
Standesherren, schwierig und wurde zwar durch die „Konstitutionen‘“ vom Anfang des 19. Jahr- 
hunderts mit der Aufhebung der „Leibeigenschaft‘‘ begonnen, aber in ihrem wichtigsten Teil, der 
Ablösung der Dienste, Zehnten und Grundzinse, erst durch das Jahr 1848 vollendet, dann aller- 
dings mit geringen Opfern der Bauern und starken Zuschüssen des Staates. 
Schwieriger aber gestaltete sie sich noch im Südosten: den südlichen Gebieten 
Badens und Württembergs und Altbayern. Denn hier herrschte im 18. Jahr- 
hundert eine ähnliche Agrarverfassung wie im Nordwesten: grössere, wenn auch nicht ganz so 
grosse Bauerngüter, ohne Freiteilbarkeit, zu schlechterem Besitzrecbt als im Südwesten besessen. 
Dazu waren die Bauern ausserdem aber auch wie hier persönlich unfrei, und die Grund- 
herrschaft war zum Teil lebensfähiger geblieben, nicht in blosses Obereigentum übergegangen, 
ja es finden sich Ansätze zu der gleich zu schildernden Entwicklung des Nordostens, der „Guts- 
herrschaft“. In Altbayern durften die Bauernhöfe im 16. Jahrhundert von den Grundherren 
„gelegt‘“ werden, aber es geschah coch nicht, weil der Staat, der auch hier stark genug war, dies 
durchzusetzen, eine Steigerung der Frohndienste der Bauern verbot, und andere Arbeitskräfte 
nicht zur Verfügung standen. So ist auch dieses Gebiet ein Mittel- und Grossbauernland geblieben. 
Die Entwicklung im Nordosten dagexen geht ganz aufden kolonialen Charakter des 
Landes zurück. Daraus erklärt sich, dass von Anfang an neben den Bauern zahlreiche Ritter zur 
Verteidigung des Landes vorhanden waren, welche wir schon ein Jahrhundert nach vollendeter 
Kolonisation im Besitz von zahlreichen, z. T. schon ziemlich grossen Ritterhöfen in Mitte 
der Bauerndörfer finden, doch zunächst nur als Nachbarn der Bauern neben diesen. Aus ihm 
erklären sich auch die verschiedenen grossen, geographisch abgeschlossene Gebiete bildenden 
Grundherrschaften des Landesherrn, der grossen Vasallen und der Kirchen und Klöster, 
welche sich beim Beginn der Kolonisation in das Land teilten und es sämtlich durch eine umfassende 
bäuerliche Kolonisation besiedelten und germanisierten. Die Lage dieser Kolonisten war zunächst, 
obwohl sie von Anfang an unter einer dieser Grundherrschaften standen, eine sehr gute: 
sie hatten persönliche Freiheit und erbliches Besitzrecht. Im Laufe der aui die Kolonisation 
folgenden Jahrhunderte aber wurden die Rechte, welche der Landesherr als solcher oder als Grund- 
berr an ihnen hatte, bei den ungeordneten finanziellen Verhältnissen der dortigen Staatsgebilde, 
das Zahlungsmittel, mit welchem er seine Vasallen und Ritter. und jene wieder ihre Ritter bezahlten,
	        
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