Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

934 C.J. Fuchs, Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Wirtschaftspolitik. 
  
und so gelangten die Inbaber der Ritterhöfe allmählich in den Besitz aller Rechte an den ihnen be- 
nachbarten Bauern eines oder mehrerer Dörfer. Vor allem erlangten sie de Gerichtsherr- 
schaft, und damit beginnt die Minderung der persönlichen Freiheit der Bauern: sie werden 
an die Scholle gebunden, „Privatuntertanen‘ des Ritters. Und indem der Ritter von dem bisherigen 
grossen Grundherrn das Obereigentum am Bauernland erwirbt, wird er auch zum kleinen Grund- 
herrn der Bauern, also Gerichtsherr, Erbherr und Grundherr in einer Person. Diese kleine Grund- 
herrschaft ist auch ein geographisch abgeschlossenes Herrschaftsgebiet: in Verbindung mit dem 
durch Frohndienste der Bauern bestellten Rittergut, das ihr Mittelpunkt ist, bildet sie die 
„Gutsherrschaft“. Auch beginnt im 16. Jahrhundert, als mit dem Aufkommen der 
stehenden Heere der Ritter sich hier in einen Landwirt verwandelt, schon die erste Einziehung 
von Bauernstellen zur Bildung von Ritterhöfen, das „Bauernlegen“, z. T. auf Grund gesetzlicher 
Befugnisse gegenüber ‚ungehorsamen‘“ Bauern oder „für den eigenen Bedarf“. Aber dies war 
doch zunächst noch von nur geringem Umfang. 
Erst der dreissiejährige Krieg brachte dann einen allgemeinen Niedergang und eine 
erste starke Verminderung der Bauern in diesem Gebiete. Das Kolonisationsland mit seiner jüngeren 
Kultur und dünneren Bevölkerung wurde von ihm auch viel tiefer und dauernder geschädigt als das 
übrige, ältere Deutschland. Vor allem verschlechterte sich die Rechtslage der Bauern, welche den Krieg 
überstanden hatten, bei der „Wiedereinrichtung der Landgüter“ namentlich durch die Hilfe der 
Herrschaft beim Wiederaufbau der Höfe; von den „wüst‘‘ gewordenen Stellen aber stellte die Herr- 
schaft überhaupt nur so viele wieder her, als bei vollster Anspannung der Kräfte der auf sie gesetzten 
Bauern zur Bestellung des ritterschaftlichen Ackers notwendig waren. Das Land der übrigen Stellen 
aber wurde allmählich, in dem Masse als die Frohnbauern erstarkten und mehr leisten konnten, 
nit dem herrschaftlichen Acker vereinigt. So tritt in dieser Zeit eine bedeutende Verminderung des 
Bauernlandes und der Bauernstellen zugunsten derRittergüter ein: die zweite Periode des „Bauern- 
legens‘ im Nordosten. In ähnlicher Weise wirkten im folgenden Jahrhundert der schwedische und 
der siebenjährige Krieg. Aber schon hatte vor dem letzteren der junge preussische Staat 
mit einer energischen Agrarpolitik begonnen, zu der ihn charakteristischer Weise nicht finanzielle, 
sondern militärische Interessen — die Gefährdung der Rekrutierung und der Einquartierung 
der Truppen durch das Bauernlegen — drängten. Der von Friedrich dem Grossen verwirklichte 
„Bauernschutz‘ machte dem Bauernlegen ein Ende, indem er zwar nicht den einzelnen Bauern 
als augenblicklichen Inhaber einer Stelle, aber diese selbst für die Zukunft vor der Einziehung 
schützte. Damit blieb dem grössten Teil des heutigen deutschen Nordostens, den alten 
Provinzen Preussens, die dritte und schlimmste Periode des Bauernlegens erspart, welche 
im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts und im ersten des 19. in dem damals nicht zu Preussen ge- 
hörigen Gebiet von Schwedisch-Pommern und ebenso in Mecklenburg, infolge 
der Einführung technischer Neuerungen des landwirtschaftlichen Betriebes aus England, unter 
kapitalistischem Gesichtspunkt — ähnlich wie dort im 16. und nochmals im 18. Jahr- 
hundert — ganze Bauerndörfer in einzelne grosse Güter verwandelte und den Bauernstand, ab- 
geschen vom Domanium, gänzlich aufrieb. 
Aber auch die Bauernbefreiung versuchte Friedrich der Grosse schon in Angriff 
zu nehmen. Doch scheiterte er noch an dem Widerstand seiner Beamten und der Schwierigkeit 
der Aufgabe, welche hier viel grösser war als im übrigen Deutschland, da es sich hier nicht um die 
Beseitigung einer mehr oder weniger fossil gewordenen mittelalterlichen Verfassung handelte, sondern 
um die in neuerer Zeit entstandene Arbeitsverfassung der hier teils von Anfang an vorhandenen, 
teils durch das Bauernlegen entstandenen landwirtschaftlichen Grossbetriebe. Ihre Beseitigung 
bedeutete daher entweder das Aufhören der letzteren, deren Besitzer militärisch und politisch die 
Träger des preussischen Staates waren, oder die Notwendigkeit der Beschaffung anderweitiger 
Arbeitskräfte. So gelang auch Friedrich Wilhelm I. nur die Bauernbefreiung bei seinen Do- 
mänenbauern, wocerselbst der Gutsherr war, und nur durch Gewährung von Beihilfen zur Be- 
schaffung neuer freier Arbeitskräfte für die Pächter der grossen Vorwerke. Die Befreiung der 
Privatbauern dagegen kam erst nach dem tiefen Sturze Preussens im Jahre 1806 zustande, 
als einer der Hauptteile der grossen Stein-Hardenbergischen Gesetzgebung,
	        
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