Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

C.J. Fuchs, Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Wirtschaftspolitik. 287 
  
gingen alle nach kurzem Bestand in jener ursprünglich preussischen Gewerbeordnung auf. Sie 
unterschied sich aber von dem französischen Vorbild in der Hauptsache dadurch, dass sie die 
Zünfte, ebenso wie 1810, nicht ganz aufhob, sondern unter dem Namen „Innungen“ als private 
Korporationen weiter bestehen liess. Hier hat dann die moderne Handwerkerpolitik mit ihren Ver- 
suchen zur Neubelebung ihrer Bedeutung und zu einer neuen Organisation des Handwerks 
wieder angeknüpft. 
III. 
Noch mehr als die Geschichte der Agrarpolitik und der Gewerbepolitik ist naturgemäss die der 
Handelspolitik von der allgemeinen politischen Geschichte Deutschlands beeinflusst. 
Denn gerade hier musste es sich am stärksten geltend machen, dass aus Deutschland nicht, wie 
aus den Nachbarländern, im 16. Jahrhundert ein moderner geschlossener Nationalstaat mit 
Überwindung der feudalen Mächte durch eine starke zentralisierte Staatsgewalt geworden ist, 
welche das ganze Wirtschaftsleben zu regeln übernahm und in den anderen Ländern vor allem 
eine nationale Handelspolitik trieb. Während dadurch jene zu einheitlichen Wirtschaftsgebilden, 
zu wahren „Volkswirtschaften‘ mit freiem inneren Verkehr und nationaler Arbeitsteilung 
wurden, blieb Deutschland in seine zahllosen Territorien zersplittert, durch welche der Handels- 
betrieb mit ungezählten Lasten, Zöllen, Stapelprivilegien usw. erschwert wurde. Zwar wollte 
auch das alte Deutsche Reich am Anfang des 16. Jahrhunderts einmal einen Versuch zu einer 
Reichszollpolitik mit Schaffung eines an der Reichsgrenze zu erhebenden Reichszolls machen, 
aber der dreissigjährige Krieg begrub dieses Projekt, das von nicht abzumessender, auch 
politischer Bedeutung gewesen wäre. Infolge dieser politischen Entwicklung erlangte Deutschland 
aber auch keinen Anteil bei jener ersten Aufteilung der Welt: keine Handelsniederlassungen in Asien 
und keine Kolonienim neuen Weltteil, und die Wirkungen der Auffindung des Seewegs 
nach Ostindien und der Entdeckung Amerikas mussten daher, wenn auch nicht 
so’ort, so doch auf die Dauer, überwiegend nachteilig für seinen Handel und seine grossen 
Handelsstädte werden, wobei nach Sombarts allerdings angefochtener Darstellung auch die Ver- 
treibung der Juden aus diesen eine wichtige Rolle gespielt haben soll, so dass es nicht zu- 
fälligerweise gerade nur Frankfurt und Hamburg waren, welche weiter blühten, und 
von denen ein neuer Aufschwung des deutschen Handels seinen Ausgang nahm. 
Die Handelspolitik in den deutschen Territorien aber war im wesentlichen noch die 
der „Stadtwirtschaft‘‘, nur wenige grössere suchten im ganzen die merkantilistische Handelspolitik 
der grossen Nachbarstaaten nachzuahmen, nur Preussen gelang es aus den oben angegebenen 
Gründen wirklich. Aber auch hier fehlte dabei noch die Handelsfreiheit im Innern, die Zölle wurden 
als „Accisen‘ an den Stadttoren erhoben, und es bestanden ausserdem noch Provinzialzölle.. Es 
war die politische Entwicklung wiederum, die Besetzung der Mark Brandenburg durch die Franzosen, 
welche dieses System hier zuerst gewaltsam durchbrach und zur Einführung mässiger Einfuhr- 
zölle, dem System der (gemässigten) „Handelsfreiheit‘ an Stelle des Prohibitivsystems 
des Merkantilismus führte. Nach dem Intermezzo der Kontinentalsperre wurde dieses System 
dann endgiltig durch die dritte der grossen freiheitlichen Reformen im Jahre 1818 für ganz Preussen 
eingeführt, und es waren wiederum wesentlich politische Momente (die damalige Gestaltung 
des preussischen Staatsgebietes, seine Zerrissenheit in zwei getrennte Teile mit zahlreichen Enklaven 
und Exklaven an den inneren Seiten, also einer schwer oder gar nicht zu bewachenden Grenze), 
welche die ausserordentlich niedrigen Schutzzölle von nur 10% vom Werte notwendig machten, — 
zu einer Zeit, da England, die Heimat des „Freihandels“, ebenso wie Frankreich, noch 
vollständig protektionistisch war. 
Die politischen Verhältnisse zwangen dann Preussen auch zunächst. die zwischen und in seinem 
Gebiete liegenden Staaten sich durch Zollanschluss zu verbinden und weiter auch auf die 
handelspolitische Einigung von ganz Deutschland unter Führung Preussens — also 
ohne Österreich — hinzuarbeiten und damit die politische Einigung vorzubereiten. Es sind 
bekanntlich drei Männer gewesen, welche das Verständnis für die Notwendigkeit einer solchen 
handelspolitischen Einigung verbreitet und zugleich die Wege zu ihrer Verwirklichung in Wort
	        
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