Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

240 Martin Weigert, Schutzzoll und Freihandel. 
auf welche Weise der Staat dasselbe am zweckmässigsten gewinnen könnte. Nach dem Beispiel 
der mittelalterlichen Stadtrepubliken sah man als bestes Mittel hierzu den Handel mit günstiger 
Bilanz an, d. h. den internationalen Handel, welcher an das Ausland Waren in höherem Werte ver- 
kaufte als er von demselben kaufte, sodass das Jnland die Differenz in barem Gelde ausgezahlt er- 
hielt. Es schien daher notwendig viel zu produzieren, um viel ins Ausland verkaufen zu können. 
Auch hielt man es für wünschenswert die Herstellung möglichst kostbarer Gegenstände zu 
fördern, die leichter zu exportieren waren und höheren Gewinn in Aussicht stellten. Das Gewerbe 
glaubte man besonders begünstigen zu müssen, weil die Landwirtschaft bei der natürlichen Be- 
grenzung des anbaufähigen Bodens nur wenig erweiterungsfäbig schien. Nach aussen also sollte 
der Staat wie ein einzelner Kaufmann zwar möglichst wenig und billig kaufen, dagegen möglichst 
viel und teuer verkaufen. Zu diesem Zwecke wurde für den Aussenhandel die Förderung der Aus- 
fuhr durch Prämien, und vor allem aber die Behinderung der Einfuhr durch hohe Schutzzölle und 
Verbote als die geeignetsten Mittel empfohlen. Firgänzt und unterstützt sollte diese Politik im Innern 
durch eine strenge Gewerbeordnung, durch finanzielle Beihilfen und Privilegien werden, mit denen 
man die Gewerbe künstlich zur Blüte bringen und in diejenigen Balınen leiten zu können glaubte, 
die für eine günstige Handelsbilanz am zweckmässigsten schienen. 
2. Die merkantilistischen Schriftsteller, a} in Italien, b) in England, c) in Frankreich, d) in Deutschland. 
Aus der grossen Zahl der Schriftsteller, welche im 17. Jahrhundert in ihren 
volkswirtschaftlichen Werken die merkantilistischenAnschauungenvertreten 
haben, können hier nur die bedeutendsten erwähnt werden; 
a) Vor allem sind von Italienern zu nennen Antonio Serra, (Breve tratato delle cause 
de possono far absondare li regni d’oro e d’argento, dove non sono miniere, Napoli 1613.) Er findet 
die Bedingungen des Volkswohlstandes in folgenden Quellen: Einmal in einer grossen Bodenfrucht- 
barkeit, die nicht nur den Bedarf des inländischen Konsums befriedigt, sondern sogar einen Ueber- 
schuss an landwirtschaftlichen Produkten für den Export erzielt; ferner in einem umfassenden 
internationalen Handel mit freier Einfuhr der Rohmaterialien für die Gewerbe im Inlande, dagegen 
hohen Einfuhrzöllen auf fertige Waren, um deren Herstellung im Inlande zu begünstigen und zu ver- 
hindern, dass durch den Einkauf im Auslande Geld hinausgeschickt werde. Endlich in der Förderung 
der Industrie von Kunst und Luxuswaren, welche teuer an das Ausland verkauft werden können, um 
durch sie Gold und Silber in das Land zu bringen. — Die Grundlagen der merkantilistischen Handels- 
bilanzlehre finden sich ferner bei Antonio Broggia (Tratati dei Tributi e delle monete 1743) und 
schliesslich bei Antonio Genovesi (Legioni di Commerzio e di economia civile 1743), der sich jedoch 
schon von den stärksten Einseitigkeiten des Merkantilismus frei gemacht hat. 
b) Als bedeutendste Schriftsteller der merkantilistischen Richtung in England sind 
Francis Baco von Verulam (Essays moral, economical and political, London 1597 bezw. 1625), und 
Thomas Mun (Englands treasure by foreign trade ete. 1664) zu nennen. Ersterer ist ein strenger 
Anhänger der Handelsbilanztheorie, lobt die vorhandenen Einfuhrverbote und gelangt zu der irr- 
tümlichen Auffassung, dass im Güteraustausch der eine Kontrahent stets gewinne, was der andere 
verliere. — Thomas Mun empfiehlt in sehr eingehender Weise Regierungsmassregeln zur Herbei- 
führung einer günstigen Handelsbilanz und verteidigt das von König Heinrich VIII. im „Statut of 
employment’ erlassene Verbot der Geldausfuhr aus England. — Ferner haben sich in England 
Josiah Child (Observations concerning trade and interest of money 1668) und William Temple um 
die gleiche Zeit als merkantilistische Schriftsteller einen Namen gemacht. 
e) In Frankreich fanden die merkantilistischen Anschauungen erst ca. ein Menschen- 
alter später in der Wissenschaft Aufnahme und Befürwortung. Frangois Melon (Essays politiques 
sur le Commerce 1731) verlangt ein entschiedenes Hinarbeiten auf eine günstige Handelsbilanz. Als 
bestes Mittel hierfür erscheinen ihm die Kolonial- und Handelskompagnieen, also die Organisation 
des internationalen Grosshandels unter Ausbildung auszedehnter Monopole. Am meisten tritt 
sein merkantilistischer Standpunkt in seiner einseitigen Ueberschätzung der Industrie hervor. — 
Louis Forbonnais (Elements du Commerce 1754) behandelt gleichfalls die bekannte Handelsbilanz-
	        
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