358 Bornhard Harms, Weltwirtschaft und äussere Wirtschaftspoltik.
den oder niedergehenden Phase der Entwickelung befinden, werden verschiedene handelspolitische
Massnahmen angezeigt sein: Eine schutzzöllnerische, neumerkantilistische Handelspolitik wird
voraussichtlich dann auf Erfolg rechnen können, wenn sie als Glied eines politischen, geistigen,
technisch-wirtschaftlichen Aufschwunges einsetzt. Eine freiere Handelspolitik erscheint dann an-
gebracht, wenn die Industrie und die Welthandelsbeziehungen eines Staates so hoch entwickelt
sind, dass er sich den anderen Nationen gegenüber gleich oder überlegen fühlt, wenn er des
ferneren durch den freien Verkehr weniger wirtschaftliche Abhängigkeit als anspornenden West-
bewerb zu erwarten hat, wenn er für den Überschuss seiner hochentwickelten Produktion grosert
auswärtiger Absatzgebiete bedarf und andererseits auf die Versorgung gewisser wichtiger Waren
von aussen angewiesen ist.
Die heutige Ära der schutzzöllnerischen, imperialistischen Handelspolitik wird wohl noch
geraume Zeit andauern. Erst dann, wenn sich die grossen Kulturstaaten auf annährend gleicher
wirtschaftlicher Entwickelungsstufe befinden werden, wenn sich ihre Staatssysteme befestigt, ihre
Absatzverhältnisse, ihre Einflussphäre und ihr Verhältnis zu ihren Kolonien geregelt und geklärt
haben werden, kann vielleicht ein beruhigter Zustand internationaler Beziehungen, eine mehr
freihändlerische Epoche der Welthandelspolitik anbrechen. Jedenfalls setzt aber heute schon eine
gute Handelspolitik im wachsenden Masse voraus, dass die einzelnen Nationen nicht kurzsichtig
nur das nächstliegende Eigeninteresse wahrzunehmen suchen, sondern sich als Glieder der grossen
Staatengesellschaft fühlen, aus deren friedlichem Verkehr auch die einzelne Volkswirtschaft beträcht-
lichen Nutzen ziehen kann. —
46. Abschnitt.
Weltwirtschaft und äussere Wirtschaftspolitik.
Von
Dr. Bernhard Haraıs,
0. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Kiel.
Litoratur:
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Unter Weltwirtschaft verstehen wir den Inbegriff der durch hochentwickeltes Verkehrs-
wesen ermöglichten und durch staatliche internationale Verträge sowohl geregelten wie ge-
sörderten Beziehungen und deren Wechselwirkungen zwischen den Einzelwirtschaften der Erde.