Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

284 Th. Rehbock, Süddeutsche Schiffahrtspläne. 
  
durchgehenden grossen Wasserweg quer durch Europa von der Nordsee zum Schwarzen Meer 
schaffen. Sie würde das im Ausbau befindliche grosse österreichische Wasserstrassennetz mit 
seinen geplanten Verbindungen zur Oder und den russischen Flussläufen sowie die Länder an der 
unteren Donau eng an das deutsche Wirtschaftsgebiet des Rheines anschliessen. 
Die Donau selbst steht allerdings in ihrem deutschen Oberlauf als Wasserstrasse erheblich 
hinter dem Rhein zurück. Sie wird aber nach den im Auftrag des Vereins zur Hebung der Fluss- 
und Kanalschiffahrt in Bayern angestellten Untersuchungen von Reg.- und Baurat Faber?) auf- 
wärts bis Kellheim durch Regulierung für 600—700 Tonnen-Kähne ausgebaut werden können, 
während von hier an aufwärts bis Ulm ein Seitenkanal zur Donau den Vorzug verdient. Es ist zu 
erwarten, dass nach Herstellung einer schiffbaren Verbindung zum Rheingebiet der noch wenig 
entwickelte Donauverkehr stark zunehmen wird. 
Durch die Erbauung der besprochenen württembergischen und bayrischen Wasserstrassen 
würde das südöstliche Deutschland zum Rhein und zur Donau hin schiffbare Anschlüsse, 
und das mitteleuropäische Wasserstrassennetz erst seinen Schluss und seine volle Leistungs- 
fähigkeit erhalten. Die grösstenteils durch die verschiedenen Schiffahrtsverbände ausgeführten 
Untersuchungen und Studien haben gezeigt, dass es mit den zur Verfügung stehenden technischen 
Mitteln zweifellos möglich sein wird, alle genannten Wasserstrassen zu erbauen und dadurch die 
bestehenden Wünsche der süddeutschen Staaten nach besseren Verkehrswegen zu befriedigen. 
Diese Schiffahrtswege würden dem dringenden Bedürfnis nach einer grosszügigen verkehrspoli- 
tischen Erschliessung Süddeutschlands zunächst jedenfalls vollauf genügen, wenn sie Abmessungen 
erhalten, welche wenigstens für 600 Tonnen-Schiffe, besser aber noch für 1000 Tonnen-Schiffe 
genügen. Für die Rheinstrasse zum Bodensee sollte nach der Ansicht des Verfassers sogar mit 
1400 bis 1800 Tonnen-Schiffen gerechnet werden. Durch Stichkanäle könnten die nicht berührten 
Verkehrspunkte leicht an die genannten Hauptwasserstrassen angeschlossen werden. 
Die Frage der Wirtschaftlichkeit eines so umfangreichen Netzes grosser Wasserstrassen 
lässt sich natürlich nicht ohne weiteres einwandfrei beantworten. Die Anlagekosten werden sehr 
hohe sein und lassen sich auf Grund der schon aufgestellten Entwürfe — einschliesslich der erforder- 
lichen Stichkanäle, Hafenanlagen und Gleisanschlüsse — auf fast 800 Millionen Mark veranschlagen. 
Diese Summe erscheint gewaltig und wird manchen veranlassen, die Durchführbarkeit dieser 
Wasserstrassenpläne in Zweifel zu ziehen. Es darf aber nicht ausser acht gelassen werden, dass es 
sich um Anlagen von einer ganz hervorragenden Bedeutung für die Zukunft eines ausgedehnten 
Gebietes mit weit über 8 Millionen Menschen handelt, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz 
durch die Ungunst der Verkehrsverhältnisse schwer bedroht sind, und in leistungsfähigen Wasser- 
strassen mit Recht das hauptsächlichste Mittel erblicken, im wirtschaftlichen Wettkampf mit dem 
übrigen Deutschland, namentlich aber mit dem Ausland in der Zukunft bestehen zu können. 
ern Verfasser erscheint es nicht zweifelhaft, dass ein grosszügiges Netz von Grossschiffahrts- 
wegen für Süddeutschland notwendig ist und sich jedenfalls als ein in hohem Grad lohnendes Unter- 
nehmen herausstellen wird, zumal wenn nicht nur die unmittelbaren Einnahmen der Wasser- 
strassen in Rechnung gestellt, sondern auch alle die vielen mittelbaren Vorteile berücksichtigt 
werden, die sich im cinzelnen schwer nachweisen lassen, die aber infolge des wirtschaftlichen Auf- 
blühens weiter Gebiete, der Zunahme der Bevölkerung, der Ansiedelung neuer Industrien und der 
Hebung der Steuerkraft dem Einzelnen sowohl, wie der Gesamtheit zugute kommen werden. 
Da neue Wasserwege nicht nur dem schon vorhandenen Güteraustausch dienen, sondern in 
beträchtlichem Umfang selbst neuen Verkehr schaffen, indem sie das ganze Wirtschaftsleben heben 
und den Austausch billiger Massengüter, deren Versand nur bei den niedrigen Frachtsätzen der 
Wasserstrassen lohnend ist, erst ins Leben rufen, versagt bei der Berechnung des zu erwartenden 
Zukunftsverkehrs die Statistik fast vollständig. Die Erfahrung aber hat gelehrt, dass bei der Ver- 
billigung der Frachtsätze durch die Eröffnung von Wasserstrassen der Verkehr meist sprunghaft 
und oft in wenigen Jahren auf ein Vielfaches der früheren Grösse anwächst. Das wird bei der Be- 
rechnung des auf neuen Wasserstrassen zu erwartenden Verkehrs, mehr aber noch bei den Auf- 
’) Eduard Faber. Denkschrift über die Verbesserung der Schiffbarkeit der bayerischen Donau und über 
die Durchführung der Grossschiffahrt bis naoh Ulm 18085.
	        
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