Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Bernhard Huldermann, Seeschiffshrt. 298 
  
In der Linienschiffahrt ist das Prinzip der Arbeitsteilung besser durchgeführt. 
Die an einem bestimmten Zweig des Verkehrs beteiligten Linien haben zumeist immer Äbreden 
untereinander getroffen, durch die man versucht, Frachten und Passagepreise zu regeln. Eine der- 
artige Regelung, so schwierig es in der Praxis auch häufig ist, sie zu schaffen und aufrecht zu er- 
halten, ist eine Notwendigkeit, weil es gar keinen anderen Schutz für das Schiffahrtsgewerbe gibt 
und obne jeden Schutz dieses nicht in der Lage wäre, seiner Hauptaufga begerecht zu werden, 
nämlich dem Verkehr regelmässige und leistungsfähige Linien und diese 
jedem, dem grossen Verlader sowohl wie dem kleinen zur Verfügung zu stellen. Schutzzölle, die 
die ausländische Konkurrenz fernhalten, gibt es nicht; die natürlichen Faktoren erlauben jedem 
Schiff überall und überallhin zu fahren, die Qualität der Leistung spielt im Frachtverkehr und 
einem grossen Teil des Personenverkehrs nicht die ausschlaggebende Rolle. So sehr der Verlader 
unter Umständen regelmässige und geordnete Verbindungen, wie sie eine gut fundierte Linien- 
reederei bietet, schätzt, so wenig lässt er sich dadurch allein bewegen, der betreffenden Linie alle 
seine Verladungen zuzuführen, häufig ist ihm der Preis für die Beförderung seiner Waren wichtiger, 
weil er glaubt, dadurch einen Vorsprung vor einem Konkurrenten zu erhalten. Hinzu kommt, dass 
der Personenverkehr stets, Jahr für Jahr, eine „Saison“ hat, d. h., dass er nur in bestimmten Teilen 
des Jahres so stark ist, dass er die Schiffe voll oder zum grössten Teil in Anspruch nimmt, der 
Frachtverkebr nur in Jahren einer Hochkonjunktur so gross ist, dass er den vollen Raum der Linien- 
dampfer beansprucht. In den übrigen Zeiten würde ein wilder, ungezügelter Wettbewerb die Preise 
der Frachten und Passagen bis auf einen ruinösen Stand herunterwerfen und der grosse Fracht- 
kontrahent die Möglichkeit haben, einen mehr oder minder bedeutenden Vorsprung vor dem kleinen 
zu gewinnen, was die Grundlagen des Wettbewerbs im Handel in unerwünschter Weise ver- 
schieben würde, wenn dem Wettbewerbe der Reedereien nicht Schranken gesetzt würden durch 
Vereinbarungen zur Aufrechterhaltung vernünftiger Sätze. Starke Gesellschaften, die in der Lage 
sind, dauernde und nutzbringende Abreden dieser Art, wenn es nötig ist, zu erzwingen, sind für 
Deutschland um so nötiger, weil die zentrale Lage unseres Vaterlandes in Europa und die geschicht- 
liche Entwicklung seines Hoheitsgebietes ihm zwar einen, bis jetzt für alle Zwecke ausreichenden 
Zugang zum Weltmeer, aber die Herrschaft über nur einen Zugang gegeben hat, während dem 
Verkehr nicht nur seiner Grenzgebiete, sondern sehr grosser und wirtschaftlich bedeutender Teile 
des deutschen Inlandes der Weg zur See auch über die Häfen der Nachbarländer offen steht. Im 
Wettbewerb mit diesen und den in ihnen ansässigen und den dort verkehrenden fremden Flaggen 
muss die deutsche Reederei trachten, ihre Stellung und ihren Anteil am Verkehr zu behaupten. 
In dem Augenblick, in dem sie das nicht mehr könnte, wäre es um die Leistungsfähigkeit der deut- 
schen Seeschiffahrt und der von ihr geschaffenen Verbindungen geschehen, und — um den Ver- 
dienst, den sie dem deutschen Nationaleinkommen direkt und indirekt bringt. 
Für den Politiker ergeben sich daraus zwei Schlussfolgerungen. Erstens die, dass die Fak- 
toren, die in der inländischen Verkehrspolitik massgebend sind, danach trachten müssen, sie so 
zu leiten, dass sie bei aller Würdigung der Interessen des Handels und der Industrie doch nicht den 
Interessen unseres eigenen Seeverkehrs nachteilig wirkt. Die zweite Schlussfolgerung ist, dass 
bei allen Ansprüchen, die der Staat, sei es auf dem Wege der Gesetzgebung, sei es auf anderen, an 
die Schiffahrt stellt, man niemals die Rücksicht auf die ausländischen Wettbewerber aus den Augen 
lassen und unsere Schiffahrt nicht schwerer belasten darf, als jene belastet sind. Nur dann kann 
im Wettbewerb mit den ausländischen Flaggen und in dem weitausgedehnten Netz von Verträgen, 
mit denen unsere Reedereien jenen Wettbewerb in Schranken halten, unsere Flagge sich auf der 
Höhe behaupten, auf die sie nach unserer gesamten wirtschaftlichen Stellung Anspruch hat. 
Es würde zu weit führen, im Rahmen dieses Aufsatzes die Konstruktion der unter den 
Reedereien bestehenden Verträge zu erläutern; interessante Einblicke darin gibt die in den Literatur- 
Angaben angeführte Schrift von Thiess. Es sei nur erwähnt, dass fast alle grösseren deutschen 
Reedereien derartige Verträge miteinander und mit ausländischen Linien, und dadurch teilweise 
sehr enge Interessengemeinschaften unter sich geschlossen haben. Das hat nebenbei auch den Vor- 
teil, dass dadurch dem Wettbewerb der deutschen Reedereien miteinander Schranken gesetzt 
sind, und sie ihre Kräfte auf die Erfüllung ihrer nationalen Aufgaben konzentrieren können.
	        
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