316 Karl Lehmann, Die privaten Gesellschaftsformen des Handels.
das Handelsgesellschaftsrecht der gesetzgeberische Niederschlag einer rastlosen Unternehmer-
tätigkeit, in die ausser der Kaufmannswelt die weitesten Kreise der Bevölkerung, zumal
der städtischen, in stets steigendem Masse hineingezogen werden. Die Ausdehnung des
überseeischen Handels und die koloniale Politik haben — wenn auch nicht in dem Grade,
wie in England — den Volksgeist mit Unternehmerwagemut erfüllt. Einen Teil des Ver-
mögens in Handelsunternehmungen anzulegen, ist in den letzten Jahrzehnten selbst bei
kleineren Kapitulisten zur Uebung geworden, auch wo verwandschaftliche Beziehungen oder
testamentarische Anordnungen nicht dazu den Anlass geben. Die Gesetzgebung kommt
dieser Richtung durch Schaffung neuer Formen zu Hilfe. Und so steht uns eine so reiche
Auswahl von Typen zur Verfügung, wie kaum in einem anderen Teile des Verkehrsrechts. —
Einzelne dieser Typen reichen weit zurück. So die Schiffspartnerschaft (Reederei)
des Seerechts, die mit den Holzschiffen auszusterben scheint und nur noch in abseits liegenden
Häfen der Ostsee für kleine Leute (Küstenfahrer, Handwerker u. dgl.) eine gewisse Be-
deutung besitzt. So ferner die stille Gesellschaft, die dem Darlehn mit 'Tantiöme-
beteiligung wirtschaftlich nahe steht und unleugbar eine grosse Rolle noch heute spielt,
statistisch sich aber wegen ihres diskreten, rein auf interne Beziehungen beschränkten
Charakters nicht verfolgen lässt. Sie wird, wie in früheren Zeiten, noch jetzt vornehmlich
von Verwandten oder Freunden eines Kaufmanns benutzt, die nach aussen als Handels-
gewerbetreibende nicht hervortreten wollen, sei es um der Haftung den Geschäftsgläubigern
gegenüber zu entgehen, sei es, weil ihr Beruf offenen Betrieb des Handels ihnen nicht zut
erlaubt, die andererseits aber eine höhere Verzinsung ihres Kapitals erstreben und im Ver-
trauen auf die Ehrlichkeit und Tüchtigkeit des Firmeninhabers diesem einen Teil ihres Ver-
mögens als „stille Teilhaber“ gegen Gewinnanteil überlassen, nicht selten durch letztwillige
Bestimmungen dazu angehalten, damit das im Geschäft steckende Kapital nicht durch zu
grosse Auszahlungen geschwächt werde. Aber auch kaufmännische Kapitalisten geben
jüngeren, kapitalarmen Unternehmern die notwendigen Mittel in Gestalt einer stillen Ein-
lage, sind mitunter wirtschaftlich die Hauptbeteiligten, während der Firmeninhaber die
Arbeit leistet und die Haftung den Geschäftsgläubigern gegenüber rechtlich allein trägt.
Welche Werte in solchen Beteiligungen angelegt sind, lässt sich, wie betont, schwer fest-
stellen, da das Handelsregister über sie keine Auskunft gibt. An die Gerichtshöfe kommen
Rechtsstreitigkeiten aus Gesellschaftsverträgen dieser Art verhältnismässig selten, nach der
bescheidenen Zahl höchstrichterlicher Entscheidungen zu schliessen. Aber dass die stille
Gesellschaft im wirtschaftlichen Leben eine beträchtliche Rolle spielt, lehrt die tägliche
Umschau und ihre Bedeutung wird kaum je abnehmen. Sie zählt zu jenen wenigen Ver-
einigungsformen, die durch ihre natürliche Einfachheit sich von selbst empfehlen und alle
Aenderungen der Kultur überdauern. —
Die offene Handelsgesellschaft, d. h. die Vereinigung zum Betriebe eines Handels-
gewerbes unter gemeinsamer Firma derart, dass jeder der Teilhaber den Geschäfts-
gläubigern gegenüber unbeschränkt einsteht, besitzt ebenfalls ein hohes Alter. Sie ist die-
jenige Gesellschaftsform, die für den Kaufmannsstand und zwar vornehmlich den Gross-
kaufmannsstand als die normale, die solideste, die ehrlichste zu bezeichnen ist. Sie
beruht auf der Grundidee der Hingabe jedes Gesellschafters mit seiner ganzen Persönlichkeit
an die Unternehmung. Jeder ist Mitträger der Firma und wird als solcher in das Handels-
register eingetragen. Jeder hat — in Ermangelung besonderer Abrede — vollen Anteil
an der Geschäftsführung, zeichnet die Firma, nimmt an Gewinn und Verlust Anteil und
kaun bei Fälligkeit einer Gesellschaftsschuld von dem Gesellschaftsgläubiger sofort belangt
werden, er kann den Gesellschaftsgläubiger nicht etwa zunächst auf das Gesellschafts-
vermögen verweisen, er haftet nicht etwa bloss subsidiär, wie der zivilrechtliche Bürge,
sondern sofort primär, die Gesellschaftsschuld ist seine Schuld, die Gesellschaftsehre seine
Ehre. Alle diese Momente weisen diese Form in den engeren Bereich der Kauf-
mannswelt. Sie ist geführlich für Aussenstehende. Wenn es auch vorkommt, dass von
mehreren Geschwistern, die das Geschäft des Vaters, oder von zahlreichen Enkeln, die