Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Karl Lehmann, Die privaten Gesellschaftsformen des Handels. 319 
schäftsführer den Vorstand ersetzen und neben der Aktionärgesamtheit an der Beschluss- 
fassung über die wichtigsten Angelegenheiten mitwirken. Sie findet im Leben eine ver- 
hältnismässig bescheidene Anwendung. 
Darum hat die deutsche Gese:zgebung der neuesten Zeit dem Drängen der Kaufmanns- 
welt nach Schaffung neuer Typen von Kapitalassoziationen nachgegeben. Zunächst geschah 
dies für koloniale Unternehmungen durch das Reichsgesetz vom 15. März 1383 $ 8, das 
jetzige Schutzgebietsgesetz vom 10. September 1900 $$ 11—13, insofern der Bundesrat 
durch besonderen Regierungsakt Kolonialgesellschaften mit eigenem, vom gemeinen Recht 
abweichenden Recht ausstatten kann. Das Gesetz bezieht sich zwar nicht nur auf Aktien- 
gesellschaften, tatsächlich haben aber im Laufe der Zeit sich alle oktroiierten Kolonial- 
gesellschaften des Aktientypus bedient und insofern kann man sagen, dass wir es mit einer 
eignen Art von Aktiengesellschaften zu tun haben, die der englischen Chartered Company 
entspricht. Seit Erlass des Gesetzes sind mehrere Dutzend solcher Gesellschaften oktroiiert 
worden, deren Recht erheblich milder, als das strenge Aktienrecht ist. Die Grösse der 
investierten Kapitalien ist noch immer verhältnismässig bescheiden. 
Wichtiger ist die Schaffung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch das 
Reichsgesetz vom 20. April 1892. Hier hat der deutsche Gesetzgeber eine Form geschaffen, 
die ausserordentlichen Beifall in der Praxis gefunden hat und von ausländischen Gesetz- 
gebungen bereits nachgeahmt wird. Dem Gesetzgeber schwebte vor, die durch die Starrheit 
und Rigorosität des Aktienrechts erzeugten Hindernisse für den Unternehmergeist zu be- 
seitigen. Er rief einen Typus ins Leben, der zwar im Grossen aktienrechtlich ist, aber in 
Einzelheiten von der regulären Form der Aktiengesellschaft abweicht. Zunächst liess er 
eine Reihe strenger aktienrechtlicher Vorschriften fallen. Sodann sorgte er dafür, dass zu 
vorübergehenden Zwecken erforderliche Betriebsmittel durch Nachschüsse aufgebracht 
werden können. Während bei der Aktiengesellschaft jeder Aktionär nur bis zum Nenn- 
betrag der Aktie in Anspruch genommen werden kann, kann hier das Statut Nachschüsse 
auferlegen, sei es bis zu einem bestimmten Höchstbetrage, sei es ohne Begrenzung. Das 
unbegrenzte Risiko, dass im letzteren Falle das Mitglied trifft, kann von ihm durch Auf- 
gabe des Anteils für die Zukunft beseitigt werden, eine von der Reederei und Gewerkschaft 
entlehnte Bestimmung. Die eingezahlten Nachschüsse bilden im Gegensatz zum festen 
Stammkapital einen ausserordentlichen beweglichen oder veränderlichen Fonds, der wieder 
rückzahlbar ist, ohne dass eine Herabsetzung des Stammkapitals vorgenommen zu werden 
braucht. Des Ferneren kann das Statut neben den Einlagen zum Gesellschaftskapital den 
Mitgliedern Nebenleistungen auferlegen und damit die Vereinigung allen möglichen Zwecken, 
z. B. Kartellierungszwecken, dienstbar machen, während bei der Aktiengesellschaft sich die 
Leistungspflicht — von einer Ausnahme abgesehen — in der Einzahlung des Aktien- 
betrages erschöpft. 
Durch diese elastischeren Normen ist die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die 
im übrigen, wie hervorgehoben ist, auch eine Art Aktiengesellschaft ist, befähigt worden, 
das Bedürfnis zumal kleinerer Unternehmer zu befriedigen. Sie hat weniger den grossen 
Kapitalassoziationen mit einem nach Millionen zählenden Grundkapital, als der offenen 
Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft Konkurrenz gemacht. Personen, die nicht 
ihr ganzes Vermögen, sondern nur eine bestimmte Summe riskieren wollen behufs Ver- 
wertung einer Idee technischer oder kommerzieller Art tuen sich zu einer G. m. b. H. zu- 
sammen. Die Zahl der Gesellschafter ist gewöhnlich klein (2, 3), oder es ist in Wahrheit 
nur ein Einzelner der Unternehmer, der nur pro forma einen Zweiten heranzieht, dessen 
Anteil er nachträglich erwirbt (was das Gesetz zulässt), so dass wir die merkwürdige Er- 
scheinung tagtäglich gewahren, dass ein Einzelunternehmer sein Risiko dadurch beschränkt, 
dass er die juristische Person der G. m. b. H. ins Leben ruft, die in Wahrheit er selbst 
darstellt. Zwar wäre dies auch bei der Aktiengesellschaft möglich, aber die strengen Be- 
stimmungen des Aktienrechts lassen solchen Fall als Ausnahme erscheinen, während er bei 
der G. m. b. H. so häufig ist, dass in neuester Zeit geradezu vorgeschlagen worden ist, die
	        
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